2016-09 FeuerTRUTZ Spezial 5.2016 Interview Mit Sicherheit gut vernetzt
Interviewpartner: Christian Kühn, Dr. Wolfram Krause, Dipl.-Ing. Udo Jung, Dipl.-Ing. Gerhard Kastl und Dipl.-Ing. Norbert Schaaf (Bilder: Kühn: ZVEI, Krause: bvfa, alle anderen: FeuerTRUTZ Network GmbH)

Branche | Markt 2016-09-07T00:00:00Z Interview: Mit Sicherheit gut vernetzt

In einem Interview sprach die FeuerTRUTZ Redaktion mit fünf Vertretern der führenden Verbände im Anlagentechnischen Brandschutz über aktuelle Trends in diesem Bereich.

September 2016. Anlagentechnischer Brandschutz gewinnt immer größere Bedeutung. Die Herausforderungen liegen in der Vernetzung der Anlagen zu einem gesamtheitlichen Sicherheitskonzept und in der Qualitätssicherung bei Planung und Ausführung. FeuerTRUTZ sprach mit Vertretern der führenden Verbände dieses Bereichs über aktuelle Trends.

2016-09 FeuerTRUTZ Spezial 5.2016 Interview Mit Sicherheit gut vernetzt Kühn
Christian Kühn: „Nicht zuletzt durch den Trend zu mehr Anlagentechnik sind die Geschäftsaussichten von Planern und Errichtern ausgesprochen gut.“ (Bild: ZVEI)

Der Markt für den anlagentechnischen Brandschutz wächst stärker als der bauliche Brandschutz. Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

Schaaf: Zum einen liegt das an den Folgen der Rauchwarnmelderpflicht, die zu konstant hohen Absätzen von 15 bis 20 Millionen Geräten pro Jahr geführt hat. Zum anderen daran, dass die Anlagentechnik flexibel zu handhaben ist. Bei Nutzungsänderungen in einem Gebäude z.B. lässt sich der anlagentechnische Brandschutz meist leichter anpassen als die fest errichteten baulichen Elemente, wie Brandschutzwände.

Kastl: Das ist ein entscheidender Punkt. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Modernisierung und Änderungen im Bestand einen sehr großen Anteil der Projekte ausmachen. Die Brandschutzanforderungen von Industrieanlagen, die dank häufiger Modernisierungen sehr lange Standzeiten haben, lassen sich mit Anlagentechnik vergleichsweise leicht und günstig erfüllen. Ich sehe die Anlagentechnik auch in Zukunft auf Wachstumskurs, denn die Investitionen z.B. für Brandmelde- und Löschanlagen in der Industrie sind im Vergleich zu den nach einem Brand drohenden Fertigungsausfällen sehr gering. Das kommt zunehmend auch in den Controlling- und Finanzabteilungen der Unternehmen an.

Jung: Hinzu kommt, dass sich Architekten ungern in ihren Entwürfen für Gebäude beschränken lassen. Mit Anlagentechnik lässt sich eine ganze Menge baulicher Maßnahmen kompensieren. Sie ermöglicht den Architekten also deutlich mehr Freiheit in der Gestaltung.

Kühn: Der Trend zur Anlagentechnik wird sich weiter verstärken. Die digitale Vernetzung und immer mehr nutzbare Sensoren im Gebäude – Stichwort: ‚Internet der Dinge‘ – steigern die Funktionalität sicherheitstechnischer Anlagen und führen zu mehr Sicherheit und Komfort. Insbesondere durch die Integration in die Gebäudeleittechnik werden immer mehr individuelle, speziell an das Objekt angepasste Lösungen möglich. Nicht zuletzt durch den Trend zu mehr Anlagentechnik sind die Geschäftsaussichten von Planern und Errichtern nach Auskunft der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Errichter und Planer im ZVEI ausgesprochen gut. Das bestätigen auch die letzten Branchenkennzahlen von ZVEI und BHE. Gebremst wird diese Entwicklung vor allem durch den immer stärker spürbaren Fachkräftemangel.

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Dr. Wolfram Krause: „Im Bereich der mittelständischen Industrie, die ja das Rückgrat unserer deutschen Industrie bildet, haben viele Unternehmen noch zu wenig in Sachen Brandschutz getan.“ (Bild: bvfa)

Krause: Wir sehen noch sehr viel Marktpotenzial im anlagentechnischen Brandschutz. In Alten- und Pflegeheimen, deren Anzahl wegen der Alterung der Bevölkerung ständig steigt, sind wir brandschutztechnisch noch sehr rückständig – statistisch kommt jeden Monat eine Person aufgrund von Bränden in diesem Bereich ums Leben. Darauf hat die Anlagenindustrie reagiert und einen Anlagentyp speziell für Alten- und Pflegeheime entwickelt, der vergleichsweise kostengünstig aktiven Brandschutz durch eine automatische Löschanlage leistet. Auch die Verbesserung des Brandschutzes in kleineren Industriebetrieben ist eine große Herausforderung und zugleich Chance für die Hersteller und Errichter.

Wie entwickelt sich das Teilsegment Entrauchung?

Jung: Deutschland ist der internationale Leitmarkt für die Entrauchung. Die Anlagen sind sehr komplex und es braucht viel Erfahrung, um sie zu errichten. Sie werden wegen der Probleme am BER zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt. Und anders als von der Argebau dargestellt, dienen Entrauchungsanlagen nicht ausschließlich der Feuerwehr, sondern immer auch dem Personenschutz. Wir stellen außerdem fest, dass die Bereiche Entrauchung, Klima und Lüftung immer mehr zusammenwachsen. Sicherlich kommt das auch durch den Kostendruck bei den Projekten. Unsere Herausforderung bei solchen Anlagen, die gleich mehreren Zwecken dienen, ist es, sie effizient zu gestalten, obwohl Kompromisse gemacht werden müssen.

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Udo Jung: „Der Brandschutz und die Entrauchung sind ein Garant für unser hohes Sicherheitsniveau in Deutschland und somit bei Weitem besser als ihr Ruf.“ (Bild FeuerTRUTZ Network GmbH)

Besondere Aufmerksamkeit müssen Planer dem richtigen Zusammenspiel der Anlagen widmen. Welche Hilfestellungen können Industrie und Verbände z.B. für das Erstellen einer Brandfallmatrix geben?

Kastl: Ich glaube, die Industrie hat schon darauf reagiert und die zunehmende Komplexität beim Zusammenwirken der Anlagen wird erkannt. Speziell bei der Brandfallsteuermatrix sehe ich allerdings noch einen Schwachpunkt im Planungsprozedere, denn es gibt keinen eigenen Planungstitel dafür. Stattdessen wird sich darauf verlassen, dass sich die einzelnen Gewerke untereinander stets koordinieren. Es fehlt ein übergeordneter Planer, der das Brandschutz-Know-how bündelt, die wesentlichen Schnittstellen der verschiedenen Gewerke nebeneinander berücksichtigt und letztlich Prioritäten festlegen kann, weil er den Gesamtblick hat. Das ist aber inzwischen von Planern und Verbänden erkannt und es wird an entsprechenden Regelungen gearbeitet.

Kühn: Wir sehen das als Schwerpunktthema und unterstützen unsere Mitglieder und die gesamte Branche mit Informationen und ganz konkreten Projektierungshilfen. Aktuelle Beispiele sind die ZVEI-Merkblätter ‚Vernetzte Sicherheit‘ und ‚Schnittstellenbeschreibung für natürliche- Rauch- und Wärmeabzugsgeräte‘, die beide kostenlos zur Verfügung stehen.

Krause: Wir als Verband haben die Aufgabe, die Fragen der Fachwelt zu beantworten und die Brandschutztechnologien der bvfa-Mitgliedsfirmen den Zielgruppen Planer, Bauherren, Behörden und Feuerwehren nahezubringen. Gerade im Planungsbereich stellen wir auf unseren Veranstaltungen fest, dass es in vielen Fällen an der notwendigen Fachkenntnis über den heutigen Stand der Brandschutztechnik fehlt.

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Gerhard Kastl: „Bei der Brandfallsteuermatrix sehe ich einen Schwachpunkt im Planungsprozedere, denn es gibt keinen eigenen Planungstitel dafür.“ (Bild FeuerTRUTZ Network GmbH)

Die letzte Novellierung der Sonderbauvorschriften hat Entrauchungsmaßnahmen klarer geregelt. Wie hat sich der Markt dadurch verändert?

Kühn: Insbesondere die Neufassung der Muster-Industriebaurichtlinie gibt Betreibern, Planern und Errichtern mehr Anwendungssicherheit. Erstmals wurde das Thema Entrauchung im Industriebau ausführlich berücksichtigt. Die Verfasser haben dabei Augenmaß bewiesen, indem sie etwa flexible Regelungen zur Unterstützung des Löschangriffs der Feuerwehren formulierten. Zu kurz gekommen ist aus unserer Sicht allerdings die Entrauchung von Fluchtwegen, die in Industriegebäuden immerhin über 100 m lang sein dürfen. Aber das hat auch mit der bauaufsichtlichen Sicht der Dinge zu tun, die im ‚Grundsatzpapier Entrauchung‘ der Argebau deutlich wurde.

Das Schlagwort „Brandschutz 4.0“ beschreibt die immer stärkere Vernetzung von Anlagen und die Nutzung von Daten. Welche Chancen und ggf. Risiken sehen sie dabei?

Kastl: Die Vernetzung der Anlagen bringt Vorteile. Durch das Verschmelzen verschiedener Gewerke können auch die entstehenden Daten gemeinsam genutzt werden, was letztlich zu einem besseren Kontroll- und Steuerungsverhalten und damit zu mehr Sicherheit im Gebäude führt. Das gilt zunehmend auch für die Planung, z.B. will man mit BIM-Planungsmethoden ein möglichst vollständiges Datenmodell eines Gebäudes erzeugen, das z.B. bei Planungs- oder Nutzungsänderungen eine umfängliche Bewertung ermöglicht und auch im Betrieb eines Systems unterstützt. Die Nutzung von BIM, speziell für die Sicherheits- bzw. Brandmeldetechnik, befindet sich aber noch in einer frühen Phase und es wird noch einige Jahre dauern, bis sich die Prozesse und Standards bei allen Beteiligten eingespielt haben.

Schaaf: Bei allen positiven Aspekten sollte man bedenken, dass die Zugriffsmöglichkeiten auf Netze und Daten ein sehr sensibles Thema sind. Hier gibt es noch ungelöste Probleme.

Kastl: Richtig, mit mehr Vernetzungsmöglichkeiten ergeben sich theoretisch auch mehr Angriffspunkte. Man muss davon ausgehen, dass auch die Sicherheitsausprägungen unserer Netze entsprechend mitwachsen müssen.

Kühn: Ein gutes Beispiel dafür ist Smart Home, wo man die Sicherheitsvorkehrungen zahlreicher Systeme auf den Markt kritisch hinterfragen kann. […]

Das vollständige Interview finden Sie im FeuerTRUTZ Spezial – Band 8: Sicherheitssysteme (September 2016). Im FeuerTRUTZ Magazin 5.2016 (September 2016) lesen Sie dazu einen Artikel zum Thema „Brandschutz 4.0 – Chancen und Risiken der Digitalisierung“ - weitere Informationen zum FeuerTRUTZ Magazin

2016-09 FeuerTRUTZ Spezial 5.2016 Interview Mit Sicherheit gut vernetzt Schaaf
Norbert Schaaf: „Die europäischen Harmonisierung und der freie Warenverkehr sind prinzipiell zu begrüßen. Wenn das allerdings auf einem Niveau läuft, was unterhalb der Tischkante ist, dann ist das für ein Land wie Deutschland nicht akzeptabel.“ (Bild FeuerTRUTZ Network GmbH)

Die Brandschutzbranche erwartet für den Herbst gravierende Änderungen durch Musterbauordnung (MBO) und Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV-TB). Wie sehen Sie diese Änderungen?

Krause: Die Änderungen sind die Folge eines EuGH-Urteils, welches die bisherige Praxis der DIBt-Bauregellisten im Bereich der mandatierten Normen für nicht rechtmäßig erklärt hat. Dies soll nun durch die neue VV-TB repariert werden. Auch der bvfa hat eine Stellungnahme auf Basis der Rückmeldungen seiner Mitgliedsfirmen zur neuen VV-TB abgegeben – und tatsächlich sind viele kleine Probleme oder Fehler entdeckt worden, die noch geändert werden müssen. Aber hinter der VV-TB steht auch das eindeutige Bestreben der Exekutive, das bisherige Niveau nicht zu verschlechtern – das werden wir auch in Zukunft kritisch verfolgen.

Jung: Die Arbeitsgruppe Entrauchung des VDMA prüft und bewertet die nun vorliegenden Dokumente zurzeit. Es scheint hier mit heißer Nadel gestrickt worden zu sein. Bei der Komplexität der Themen sollte aber mehr Zeit und Sorgfalt investiert werden. Was nicht passieren sollte ist, dass hier auf die Schnelle halb gare Regelungen verabschiedet werden, mit denen sich die Branche dann über Jahre hinweg auseinandersetzen muss.

Schaaf: Es stellt sich die Frage, inwieweit die Branche sinnvoll beteiligt werden kann, wenn bei so schwieriger Materie sehr kurze Einspruchsfristen gelten. […]

Zu den Gesprächspartnern

Dipl.-Ing. Udo Jung: Leiter der Arbeitsgruppe Brandschutz und Entrauchung des VDMA – Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.; Geschäftsführer der TROX GmbH und verantwortlich für Produktmanagement, Produktion, Vertrieb sowie Forschung und Entwicklung

Dipl.-Ing. Gerhard Kastl: Vorsitzender des Arbeitskreises Marketing im Fachverband Sicherheit des ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.; Leiter Portfolio Fire Safety DE der Siemens AG

Dr. Wolfram Krause: Geschäftsführer des bvfa – Bundesverband Technischer Brandschutz e.V.

Christian Kühn: Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Errichter und Planer im ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.; Geschäftsführer der Schlentzek & Kühn GmbH

Dipl.-Ing. Norbert Schaaf: Vorstandsvorsitzender des BHE Bundesverband Sicherheitstechnik e.V.; Geschäftsführer Entwicklung und Produktion Atral-Secal GmbH

Das vollständige Interview finden Sie im FeuerTRUTZ Spezial – Band 8: Sicherheitssysteme (September 2016).

zuletzt editiert am 30. Juli 2025