Seit dem Grenfell-Tower-Brand wird über den Brandschutz von Hochhäusern auch in Deutschland heiß diskutiert. Welche Bedingungen sind zu beachten, wenn ein Brandschutzkonzept für ein Bestandshochhaus erstellt wird? Der Beitrag erläutert u.a. länderspezifische Entwicklungen und Nutzungen der Muster-Hochhaus-Richtlinie (MHHR) sowie die Frage nach dem Bestandsschutz.
Von Klaus Tönnes. Die Fachkommission Bauaufsicht der ARGEBAU beschloss im Jahr 2008 die letzte Novelle der Muster-Hochhaus-Richtlinie (MHHR) [1], die u.a. die wesentlichen Brandschutz-Anforderungen an Hochhäuser enthält. Sie ist für ganz Deutschland als einheitliche Regelung für die Neubauten von Hochhäusern konzipiert und soll für Architekten, Planer und Behörden insbesondere durch die integrierte Gebäudetechnik eine flexible und innovative Planungsgrundlage beinhalten.
Wegen der Flexibilität und der damit verbundenen Planungsvielfalt wird die Richtlinie als kleine Revolution im Baurecht betrachtet. 2012 wurde die MHHR mit wenigen Änderungen von der Bundesbauministerkonferenz erneut bestätigt und gilt derzeit als aktuelle Planungsgrundlage für moderne Entwicklungen im Hochhausbau: neue Höhen, ökonomische Nutzungen und damit neue Höhepunkte in Technik und Architektur.
Heute, neun Jahre später, kann man ruhigen Gewissens sagen: Die Inhalte haben sich grundsätzlich bewährt – auch wenn sich einige Bundesländer genötigt sahen, doch eigene Lösungen i.d.R. für Hochhäuser unterhalb der 60-m-Grenze zu entwickeln (s. Tabelle 1).

Auswirkungen auf Bestandsbauten
Die MHHR ist die erste Richtlinie, die Auswirkungen auf den Bestand in ihren Erläuterungen verständlich beschreibt. Dennoch waren weitere Differenzierungen nötig, denn es bestanden Sorgen, dass die Inhalte der MHHR auf Bestandshochhäuser übertragen würden und die Risikobewertung für Hochhäuser < 60 m Höhe nicht ausreichend Berücksichtigung fände.
Zudem gab es Bedenken, dass die Anwendung der MHHR in der Fassung von 2008 für die gleichen Bestandsbauten (< 60 m Höhe) die Kosten in die Höhe treiben werde, da der anlagentechnische Brandschutz im Mittelpunkt der Richtlinie stehe.
Zur Erinnerung: Wie die MBO und die Muster-Sonderbauverordnungen behandelt auch die MHHR die Errichtung neuer Hochhäuser. Auf bestehende Hochhäuser findet sie keine unmittelbare Anwendung, weil diese Bestandsschutz genießen. Aus der MHHR ergibt sich daher weder eine Anpassungspflicht noch eine Nachrüstungsverpflichtung für bestehende Hochhäuser. Soweit die neuen Länder nach 1990 Anpassungen der bestehenden Hochhäuser nach der Richtlinie für die Anpassung bestehender Hochhäuser in den neuen Ländern (1991) durchgeführt haben, bleiben auch diese unberührt.
Die Übersicht in Tabelle 1 zeigt, dass die Mehrheit der Bundesländer keine neuen Lösungen braucht und sie mit den Gestaltungsmöglichkeiten und dem Ermessensspielraum nach den Vorgaben der MHHR gut operieren können. Allerdings sind sechs Bundesländer der Meinung, es gehe ganz ohne Regelwerk.
Im Bundesland Hamburg [2] heißt es dazu: „Hochhäuser des Höhensegments bis 60 m stellen in Hamburg mit 85 % den Schwerpunkt der baulichen Praxis dar. Dieses Höhensegment ist aber in der MHHR, die höhenunabhängig konzipiert ist und vor allem auf eine freie Grundrissgestaltung ausgerichtet ist, kaum dargestellt. Aus diesem Grund wurde der BPD (Bauprüfdienst) für Vorhaben bis 60 m um ein alternatives, bauliches Brandschutzkonzept mit reduzierten technischen Sicherheitseinrichtungen ergänzt.“
Im Bundesland Nordrhein-Westfalen [3] sind alle Sonderbauvorschriften in einer Sonderbau-Verordnung zusammengefasst worden. Zur MHHR gibt es folgende Aussage: „Die Umsetzung der Muster-Hochhaus-Richtlinie (MHHR) 2008 in Nordrhein-Westfalen erfolgt durch die Novellierung der Hochhausverordnung überwiegend musterkonform. Für kleinere Hochhäuser mit nicht mehr als 60 m Höhe ergäben sich aber erhebliche Verschärfungen gegenüber den bisherigen Regelungen, die auch nicht mit den erleichternden Vorschriften der MHHR für Hochhäuser mit nicht mehr als 60 m Höhe in Zellenbauweise ausgeräumt werden können. Dies würde zu einer deutlichen Erhöhung der Baukosten, insbesondere bei Nachrüstungen im Gebäudebestand führen. Die SBauVO enthält deshalb insbesondere für Hochhäuser bis 60 m Höhe zusätzliche Erleichterungen im Vergleich zur MHHR 2008. Dadurch werden vor allem bei genehmigungspflichtigen Umbaumaßnahmen in bestehenden Gebäuden praxisgerechte Lösungen möglich.“
Aus dem Bundesland Bayern [4] mit den jüngsten Veränderungen aus dem Jahr 2015 berichtet man dazu:
„Aus bayerischer Sicht bedarf es in der HHR gegenüber der MHHR mit ihrem Schwerpunkt auf dem anlagentechnischen Brandschutz bei der Anwendung auf Hochhäuser im niedrigeren Höhensegment noch zusätzlicher alternativer Lösungen. Hochhäuser mit nicht mehr als 60 m Höhe bilden in Bayern den Schwerpunkt der baulichen Praxis. Damit einerseits das der MHHR zugrunde liegende Brandschutzkonzept auch in Bayern umgesetzt werden kann, andererseits aber auch für niedrigere Hochhäuser wie bisher ein Brandschutzkonzept mit Schwerpunkt auf dem baulichen Brandschutz möglich ist, lässt die bayerische Neufassung hier Alternativen zu. Diese schließen an die Sonderbauverordnung Nordrhein-Westfalens (SBauVO – Teil 4 Hochhäuser – vom 17. November 2009) an. Darüber hinaus wird in einzelnen Punkten an bewährten Regelungen der bisherigen bayerischen Richtlinien festgehalten.“
Das Bundesland Saarland [5] führte die MHHR 1 : 1 als einziges Bundesland als Verordnung ein. Artikel über Brandereignisse in Hochhäusern berichten bezüglich des Brandschutzes sehr unterschiedlich. Dabei fällt auf, dass ähnliche Brandereignisse von den Feuerwehren teilweise nur mit überdimensionalen Personaleinsätzen bewältigt werden konnten, diese waren oftmals die sogenannten „kleinen Hochhäuser“ (11 bis 13 Geschosse). Größtenteils handelt es sich hierbei um Bestandsgebäude und es sind Lücken bezüglich der Philosophie zur MHHR zu erkennen. Der bauliche Brandschutz steht in enger Verbindung mit der Leistungsfähigkeit des abwehrenden Brandschutzes.
Was tun? Bestandsanalyse und Risikobetrachtung
Für ein erfolgreiches Brandschutzkonzept für Bestandsbauten und insbesondere bei Hochhäusern ist die wichtige und aufmerksame Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Zukunft des Objektes ein fundamentales Gerüst. Der Autor hat in seiner Praxis in einer großen Brandschutzdienststelle bislang allerdings nur vereinzelt derartige Beschreibungen in Brandschutzkonzepten gesehen. Die Folgen sind oft Aussetzungen des Bauantrags bis hin zur Versagung – und damit verlorene Zeit für alle Beteiligten.

Beim Bauen im Bestand steht als erste Maßnahme die sorgfältige Analyse und Bewertung der bestehenden Nutzung im Vordergrund. Dazu gehören alle Baugenehmigungen, Brandschutzkonzepte (soweit vorhanden) und alle Versionen der Vorschriften von der Erstellung des Hochhauses bis zum aktuellen Zeitpunkt.
Erst aus diesen Unterlagen können die Entwicklungen und Festlegungen an bestehende und eventuell neue Nutzungen nach den aktuell vorgeschriebenen Sicherheitsaspekten und den Anforderungen an den haustechnischen Brandschutz erfolgen.
Die Beurteilung basiert insbesondere auf den derzeitigen Vorschriften in ihren jeweils aktuellen Fassungen. Vorhergehende Fassungen sollten, sofern erforderlich, zur Würdigung des Bestandsschutzes herangezogen werden [6].
Auflagen aus vorangegangenen Baugenehmigungen sollten informativ in der Nachweisführung berücksichtigt werden. Auf Basis der Bestandsanalyse soll im Weiteren eine ganzheitliche, risiko- bzw. schutzzielorientierte brandschutztechnische Gesamtkonzeption erfolgen – die brandschutztechnische Risikobetrachtung [6].
Diese sollte folgende Punkte enthalten:
- Beschreibung der Schutzziele,
- Beschreibung der brandschutztechnischen Risikomerkmale,
- Brandrisikoermittlung,
- Risikobewertung.

Bestandsschutz: Ja oder nein?
Der geplante Umfang der baulichen Veränderungen und Modernisierungen mit Hinblick auf den vorbeugenden Brandschutz spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Der Bestandsschutz wird jedoch durchbrochen, wenn an dem Gebäude bauliche Änderungen vorgenommen werden, die die Genehmigungsfrage neu aufwerfen. Ist dies der Fall, müssen derartige bauliche Änderungen an einem Hochhaus der Beurteilung nach Landesbauordnung unterworfen und die ermessensleitende MHHR 2008 beachtet werden. Es erfolgt immer eine Einzelfallprüfung durch eine Untere Bauaufsichtsbehörde. Dabei werden folgende Kriterien betrachtet:
- Gebot der Erforderlichkeit,
- Gebot der Verhältnismäßigkeit,
- Gebäudebestand,
- Umfang des Eingriffes,
- vorhandene bauliche Substanz,
- Belange des Denkmalschutzes.

Fazit
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Bestandshochhäuser erst nach sorgfältiger Analyse und Bewertung des genehmigten Bestandes und den bestehenden Nutzungen bezüglich der erforderlichen Maßnahmen beurteilt werden können.
Dabei müssen zwei der wichtigsten Schutzziele beachtet werden: Im Brandfall hat die Rettung von Menschen und Tieren absoluten Vorrang und Löscharbeiten müssen wirkungsvoll durchgeführt werden können.
Die bauliche Anlage ist so zu errichten, dass der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorgebeugt wird. Brandrauch soll möglichst lokal und direkt abgeführt werden können. Unter Beachtung des Bestandsschutzes müssen auch mit einfachen Mitteln Lösungen gefunden werden, z.B. Wiederherstellung oder Ertüchtigung von vorhandenen Brandschutzelementen. Damit erfolgt eine wesentliche Verbesserung des Brandschutzes.
Bestandshochhäuser müssen immer als Einzelfall betrachtet werden. Standardisierte Vorgehensweisen bei der Bearbeitung und Lösungsfindung mit der Bestandsanalyse und Risikobetrachtung können jedoch nachhaltig immer wieder zum Erfolg führen. So ist für alle Beteiligten der „Steckbrief des Gebäudes“ jederzeit nachvollziehbar und spart letztendlich Zeit und Kosten.
Literatur
[1] Muster-Richtlinie über den Bau und Betrieb von Hochhäusern (Muster-Hochhaus-Richtlinie – MHHR), Fassung April 2008
[2] Bauprüfdienst (BPD) 1/2008 Anforderungen an den Bau und Betrieb von Hochhäusern (BPD Hochhäuser)
[3] Verordnung über den Bau und Betrieb von Sonderbauten (Sonderbauverordnung – SBauVO), Erläuterung zu Teil 4: Hochhäuser, Stand 28.08.2009
[4] Bauaufsichtliche Behandlung von Hochhäusern, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 21.04.2015, Az.: IIB7-4115.140-001/15,Seite 1
[5] Verordnung über den Bau und Betrieb von Hochhäusern (Hochhausverordnung – HochhVO) vom 26.01.2011, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 12.11.2015 (Amtsbl. I S. 888)
[6] Heidelberg, Ralf, Brandschutz im Bestand, FeuerTRUTZ Network, 2013
Historie der Anforderungen in NRW
Entwicklung der Hochhausgrenze sowie der zugehörigen Brandschutzanforderungen an Außenfassaden in NRW (Matthias Dietrich):
- 1921: Der Begriff „Hochhaus“ taucht erstmalig im Erlass des Ministers für Volkswohlfahrt auf.
- 1927: Unter Bezugnahme auf diesen Erlass wird in der Baupolizeiverordnung des Jahres 1927 ausgeführt: „Hochhäuser – das sind Häuser mit mehr als sechs Vollgeschossen – bedürfen der besonderen Genehmigung.“ [§ 7 Baupolizeiverordnung 1927]
- 1962: Mit der Einführung der ersten Bauordnung für das Land NRW findet sich erstmals eine verbindliche Höhenangabe: „Hochhäuser sind Gebäude, bei denen der Fußboden mindestens eines Aufenthaltsraumes mehr als 22,00 m über der festgelegten Geländeoberfläche liegt.“ [§ 2 (4) BauO NW 1962]
- 1962: Hinsichtlich der Außenfassaden von Hochhäusern finden sich in der BauO NW folgende Anforderungen: „Bekleidungen der Wände von Hochhäusern […] sind aus nicht brennbaren Baustoffen herzustellen.“ [§ 28 (4) BauO NW 1962]
- 1970: In der Neufassung der BauO NW findet sich keine direkte Forderung zur Verwendung nichtbrennbarer Baustoffe mehr. Hinsichtlich der Wandbekleidung von Hochhäusern ist hier lediglich ausgeführt: „Bei nicht feuerbeständigen Außenwänden, bei Außenwänden von Hochhäusern sowie bei Außenwandbekleidungen von Gebäuden mit mehr als zwei Vollgeschossen können wegen des Brandschutzes besondere Anforderungen gestellt werden.“ [§ 30 (4) BauO NW 1970]
- 1978: Der Innenminister des Landes NRW veröffentlicht den Runderlass „Verwendung brennbarer Baustoffe im Hochbau“. Dort ist ausgeführt: „Bei Hochhäusern müssen Außenwandbekleidungen aus nichtbrennbaren Baustoffen (Klasse A) bestehen; schwerentflammbare Baustoffe (Klasse B 1) können bei Wänden ohne Öffnungen gestattet werden, sofern dies nicht Wände von Sicherheitstreppenräumen sind, ferner bei Wänden mit Öffnungen, wenn diese Bekleidungen von Öffnungen oder Vorbauten einen allseitigen Abstand von mindestens 1,0 m einhalten.“
- 1986: Erlass in NRW einer eigenständigen Verordnung über den Bau und Betrieb von Hochhäusern (HochhVO). Nunmehr waren die besonderen Brandschutzanforderungen für Hochhäuser in einer eigenständigen und abschließenden Rechtsverordnung zusammengefasst. „Oberflächen von Außenwänden, Außenwandbekleidungen und Dämmstoffe in Außenwänden müssen aus nichtbrennbaren Baustoffen (A) bestehen. Schwerentflammbare Baustoffe (B 1) sind hierfür zulässig bei Wänden ohne Öffnungen; dies gilt nicht für Hochhäuser, bei denen der Fußboden mindestens eines Aufenthaltsraumes mehr als 60 m über der Geländeoberfläche liegt.“ [§ 6 (1) HochhVO 1986]
- 2009: Überführung der Hochhausverordnung in NRW in die Sonderbauordnung NRW sowie Anpassung an den aktuellen Stand der Technik bezgl. der Brandschutzanforderungen an Hochhäuser. „Außenwände müssen in allen ihren Teilen aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen. Dies gilt nicht für Fensterprofile, Dämmstoffe in nichtbrennbaren geschlossenen Profilen [Anmerkung: gilt nur für Profile der Traggerippe fester Verglasungen, also die Rahmen, Pfosten und Riegel], Dichtstoffe zur Abdichtung der Fugen zwischen den Verglasungen und Tragerippen, Kleinteile ohne tragende Funktion, die nicht zur Brandausbreitung beitragen. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für Außenwandbekleidungen, Balkonbekleidungen und Umwehrungen.“ [§ 90 (8) SBauVO NRW 2009]
- 2016: Diese Anforderungen wurden unverändert in die derzeit aktuelle Fassung der Sonderbauverordnung NRW vom 2. Dezember 2016 übernommen.
Der Artikel ist in Ausgabe 5.2017 des FeuerTrutz Magazins (September 2017) erschienen.