2016-12 Entwicklung des Bauordnungsrechts in Preußen und NRW
Der Umbau bestehender Gebäude ist wesentlich komplexer als der Neubau und besondere Bedeutung haben dabei die zur Bauentstehung geltenden Bauvorschriften. (Foto: Matthias Dietrich)

Recht 2016-12-13T00:00:00Z Entwicklung des Bauordnungsrechts in Preußen und NRW

Dieser Beitrag stellt die Entwicklung des Bauordnungsrechts in Preußen und Nordrhein-Westfalen vor. Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Fachbuch „Historische Bauordnungen NRW“, das Bauordnungen und Verordnungen in NRW zwischen 1962 bis 2016 enthält.

Dezember 2016 / Von M. Dietrich, S. Rassek, B.-D. Rassek und S. Brütsch. Die vermutlich ältesten Baurechtsvorschriften in deutscher Sprache sind im Sachsenspiegel aufgeführt, einer Sammlung des mittelalterlichen Gewohnheitsrechts zwischen 1220 und 1235. Ansonsten galt das römische Recht.

Etwa um 1270 wurde in Mühlhausen/Thüringen das Reichsrecht in einer nur dem oberhoheitlichen Schutz des Reiches unterstehenden Stadt aufgezeichnet. Es beeinflusste viele mitteldeutsche Gebiete.
In den mittelalterlichen größeren Städten wurde ansonsten das Baugeschehen vom Rat der Stadt durch örtliche Bauvorschriften geregelt. Sie bezweckten fast ausschließlich die Abwehr von Brandgefahren (Feuerordnungen). Die Zünfte und Bauhütten hatten für die Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit bei Bauwerken zu sorgen.

Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794, eine umfassende juristische Neuordnung, ersetzte das bis dahin geltende römische Recht, den Sachsenspiegel und das Mühlhausener Reichsrecht in den preußischen Ländern. Darin wurde u. a. der Grundsatz der Baufreiheit festgelegt. Aber diese Freiheit wurde eingeschränkt, da "zum Schaden oder zur Unsicherheit des gemeinen Wesens, oder zur Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze kein Bau und keine Veränderung vorgenommen werden soll". Ferner war vor Baubeginn "der Obrigkeit zur Beurtheilung Anzeige" zu machen.
Das Baurecht war danach Polizeirecht und beschränkte sich im Wesentlichen nur auf das unbedingt Notwendige zur Gefahrenabwehr. Auch Baugrenzen und Baulinien (Fluchtlinien) wurde als polizeiliche Aufgabe angesehen.

Der Artikel ist ein Auszug aus dem Fachbuch "Historische Bauordnungen - Nordrhein-Westfalen" , das die Originaltexte der wichtigsten Bauordnungen für NRW seit 1962 bis 2016 enthält.

Das Allgemeine Preußische Landrecht wurde in allen preußischen Provinzen mit – Ausnahme der Rheinprovinz – angewandt. Die linksrheinischen Gebiete, darunter fielen auch die Gebiete der späteren Rheinprovinz, wurden 1801 offiziell an Frankreich abgetreten und unterstanden somit dem 1804 eingeführten eingedeutschten "Code civil", oft auch Code Napoléon genannt, dem französischen Gesetzbuch.

In der nach dem Wiener Kongress 1814 gebildeten preußischen Rheinprovinz galt diese französische Rechtsquelle weiterhin, wie auch die französisch geprägte Gemeindeverfassung; beide waren dort aufgrund ihrer freiheitlichen Grundgedanken sehr beliebt.
Das Polizeiverwaltungsgesetz von 1850 (§ 6 Polizeiverwaltungsgesetz vom 11.03.1850) zählte u. a. die Sorge für Leben und Gesundheit und die Fürsorge gegen Feuersgefahr bei Bauausführungen zu den Bereichen, die den ortspolizeilichen Vorschriften unterliegen. Zum Erlass von Polizeiverordnungen waren nunmehr in Preußen offiziell zuständig:

  • sämtliche Ortspolizeibehörden,
  • die Landräte (von Kreisen),
  • die Regierungspräsidenten (von Regierungsbezirken),
  • die Oberpräsidenten (von Provinzen) sowie
  • die Minister (diese jedoch nur in beschränkten Fällen).


In den folgenden Jahren führte die industrielle Entwicklung in Zusammenhang mit dem Anwachsen der Bevölkerung zu einer enormen Ausweitung der Städte. Darauf reagierte Preußen mit dem Fluchtliniengesetz von 1875 und ermöglichte es den Städten und Gemeinden – also nicht der Polizei –, Fluchtlinien für Straßen (Baugrenzen), die Enteignung für notwendige Verkehrsflächen sowie deren Entschädigung usw. zu regeln. Mit diesem Gesetz begann eine Aufspaltung des baurechtlichen Aufgabenbereichs in Bauplanungsrecht und Baupolizei. Die Anzahl der geltenden Polizeiverordnungen weitete sich zu einer Regelfreundlichkeit aus. Auch wurden immer wieder Bauordnungen wegen formeller Mängel für ungültig erklärt. Nebenbei bemerkt, im Jahr 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch – BGB – in Kraft, welches das Privatrecht regelt.

Seit 1899 hatte die Polizeibehörde bei allen "bedeutenderen Bauten" die Prüfung der Bauanträge und die spätere Abnahme durch einen Techniker vornehmen zu lassen, bei "besonders bedeutenden Bauten" sogar durch einen höheren Techniker.
Infolge der desolaten Wohnverhältnisse kurz vor dem Ende des 1. Weltkriegs wurde 1918 das preußische Wohnungsgesetz erlassen, wonach die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen und die Wohnungsaufsicht nunmehr den Kommunen übertragen wurde. Das Wohnungsgesetz vom 28.03.1918 erhielt Ausführungsbestimmungen und wurde durch weitere Gesetze und Verordnungen ergänzt; dieses Gesetz wurde beispielsweise in Schleswig-Holstein erst 2004 aufgehoben.

Endlich wurde 1919 der Entwurf einer Einheitsbauordnung (für die Städte) vom Ministerium herausgegeben. Diese ist vergleichbar mit den heutigen "Muster-Verordnungen" der ARGEBAU und sollte als Vorlage für die bauordnungsrechtlichen Bestimmungen der jeweiligen örtlichen Bauvorschriften dienen. Aus diesem Anlass wurden fast überall in Preußen neue Bauordnungen herausgegeben. Der Geltungsbereich war zunächst auf die innerstädtischen Bereiche begrenzt. Erst 1931 folgte eine separate Einheitsbauverordnung für das "platte Land" (also Gebäude außerhalb der Stadtgrenzen).
Die Gedanken von großräumigen regionalen Planungen wurden zwar 1902 in Frankfurt, 1911 und 1920 in Groß-Berlin sowie 1920 für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk umgesetzt, ein preußisches Städtebaurecht gab es jedoch nicht. 1939 wurden für viele Städte in NRW Sonderbaupolizeiverordnungen erlassen, die nur städtebauliche Belange regelten.
Zur Beseitigung der umfangreichen Zerstörungen im 2. Weltkrieg wurden sogenannte Trümmer- und Aufbaugesetze erlassen – die bis dahin geltenden preußischen Gesetze blieben in Nordrhein-Westfalen zunächst weiterhin bestehen.
Durch ein Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts von 1954 wurde dem Bund das Bauplanungsrecht (Städtebaurecht) und den jeweiligen Ländern das Bauordnungsrecht (Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung) zugewiesen.
Die Länder entschieden daraufhin, ein einheitliches Muster für eine Bauordnung zu definieren, welches die Grundlage für alle Landesbauordnungen sein sollte. Für diese Aufgabe wurde eine Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder, die ARGEBAU, gegründet, die 1959 die erste Musterbauordnung veröffentlichte. Eine wesentliche Basis dieser Musterbauordnung stellten das preußische Wohnungsgesetz und die preußische Einheitsbauverordnung dar.

Mit vielen Ausnahmen wurde 1961 das geltende preußische Recht bereinigt und 1962 trat die Landesbauordnung als eine einheitliche Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) auf der Basis der vorerwähnten Musterbauordnung in Kraft. Die Musterbauordnung der ARGEBAU wurde ständig fortgeschrieben und durch Mustervorschriften und -erlasse ergänzt.

Übrigens gelten – auch nach dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Bereinigung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts von 2013 – immer noch einige wenige preußische Gesetze in NRW. 

Die Datenbank "Bauvorschriften Online" enthält die wichtigsten historischen Bauvorschriften und ortspolizeirechtlichen Vorschriften für Nordrhein-Westfalen sowie der damaligen preußischen Provinzen seit 1871 im Volltext.
Hier finden Sie weitere Informationen zur Online-Datenbank "Bauvorschriften Online"

Beispiele für Bauordnungen und Verordnungen in NRW:

  • Historischer Überblick der bauordnungsrechtlichen Entwicklung
  • Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NW) vom 25. Juni 1962 (geändert am 02. Dezember 1969)
  • Erste Verordnung zur Durchführung der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 1962 (geändert am 30. August 1963)
  • Zweite Verordnung zur Durchführung der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (Verordnung über die bautechnische Prüfung von Bauvorhaben — PrüfingVO —) vom 19. Juli 1962 (geändert am 30. August 1963)
  • Bekanntmachung der Neufassung der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NW) vom 27. Januar 1970 (geändert am 15. Juli 1976, 11. Juli 1978, 27. März 1979, 06. April 1982 und 18. Mai 1982)
  • Erste Verordnung zur Durchführung der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 1970
  • Allgemeine Verordnung zur Landesbauordnung (AVO BauO NW) vom 16. Juni 1975 (geändert am 12. Juli 1977)
  • Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NW) vom 26. Juni 1984 (geändert am 18. Dezember 1984, 21. Juni 1988, 20. Juni 1989 und 24. November 1992)
  • Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NW) vom 07. März 1995 (geändert am 24. Oktober 1998 und 09. November 1999)
  • Bekanntmachung der Neufassung der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) vom 01. März 2000 (geändert am 22. Juli 2003, 16. Dezember 2003, 04. Mai 2004, 05. April 2005, 12. Dezember 2006, 13. März 2007, 11. Dezember 2007, 28. Oktober 2008, 22. Dezember 2011, 21. März 2013 und 20. Mai 2014)
  • Verwaltungsvorschrift zur Landesbauordnung – VV BauO NRW – vom 12. Oktober 2000

  

Autoren

Dipl.-Ing. Matthias Dietrich : staatlich anerkannter Sachverständiger für die Prüfung des Brandschutzes (NRW) und Prüfsachverständiger für Brandschutz (Bayern); Geschäftsführer des Sachverständigenbüros Rassek & Partner Brandschutzingenieure. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen der Brandschutz in historischen und denkmalgeschützten Gebäuden sowie die Prüfung von Konzepten und Nachweisen für komplexe Sonderbauten. Herr Dietrich ist außerdem Autor von zahlreichen Fachveröffentlichungen.

Dipl.-Ing. Stefan Rassek : staatlich anerkannter Sachverständiger für die Prüfung des Brandschutzes (NRW) und Prüfsachverständiger für Brandschutz (Bayern); Geschäftsführer des Sachverständigenbüros Rassek & Partner Brandschutzingenieure. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen neben dem Brandschutz in Industrieobjekten auch die Prüfung von Konzepten und Nachweisen für komplexe Sonderbauten in Verbindung mit Simulationsberechnungen für die Rauch- und Brandausbreitung.

Dipl.-Ing. Architekt Bernd-Dietrich Rassek : Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für den vorbeugenden Brandschutz. Er war mehrere Jahre als Architekt und Bauleiter sowie als Beamter im vorbeugenden und abwehrenden Brandschutz bei der Berufsfeuerwehr Wuppertal beschäftigt. Bis zum Erreichen der Altersgrenze führte er als Geschäftsführer das Sachverständigenbüro Rassek & Partner Brandschutzingenieure. Bereits seit mehreren Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der Geschichte der Feuerwehr und hat in diesem Zusammenhang bereits zahlreiche Fachveröffentlichungen getätigt.

Dipl.-Chem. Siegfried Brütsch : Ltd. Branddirektor a. D.; leitete bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2015 die Feuerwehr Wuppertal. Zwischenzeitlich unterstützt er als Mitarbeiter das Sachverständigenbüro Rassek & Partner Brandschutzingenieure.

Der Artikel ist ein Auszug aus dem Fachbuch "Historische Bauordnungen - Nordrhein-Westfalen" , das die Originaltexte der wichtigsten Bauordnungen für NRW seit 1962 bis 2016 enthält.

zuletzt editiert am 27. April 2021