Wie hängen vorbeugender und abwehrender Brandschutz zusammen? Der Fachausschuss VB/G der deutschen Feuerwehren (AGBF/DFV) hat dazu mehr als 700 Einsatzstellen einheitlich untersucht. Datengrundlage sind Erhebungen der deutschen Feuerwehren. Erste Ergebnisse deuten auf überraschende Zusammenhänge hin.
Seit fünf Jahren erfassen die deutschen Feuerwehren signifikante Brände. Die Auswertung der Daten erfolgt für den Fachausschuss Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz der deutschen Feuerwehren (FA VB/G von AGBF und DFV) bei der Branddirektion München. Hierfür kooperiert die Branddirektion München mit der Technischen Universität München.
Dieser Beitrag stellt die Methode vor und beschreibt teils überraschende Erkenntnisse aus über 700 Beobachtungen (Bränden). Der Hauptfokus der hier betrachteten Auswertung liegt auf dem Wohnungsbau und der hohen Rate an Rauchausbreitungen. Die Daten geben dabei Hinweise auf Wechselwirkungen von abwehrendem und vorbeugendem Brandschutz und auf mögliche organisatorische Maßnahmen zur Verbesserung.

Brandstatistiken
Brandstatistiken und Ingenieurmethoden des Brandschutzes [1–3] sind für eine datenbasierte Risikobewertung und eine Schutzzielbetrachtung notwendig. Zudem wird das Bauordnungsrecht, wie derzeit bei Garagen und Holzbauten, durch Versuche und ingenieurmäßige Argumente begründet, weiterentwickelt und ebenso argumentativ kritisch diskutiert. Vorhandene Brandstatistiken fokussieren sich dabei auf Ursachen (z.B. Brandursachenstatistik [4]), Brandtote oder Anlagentechnik [1]. Die Feuerwehren liefern seit Jahrzehnten Daten zu Einsatzhäufigkeiten (Feuerwehr-Jahressstatistik der Bundesländer) und rudimentär zu Einsatzgrößen (Zahl der Strahlrohre). Ob und inwiefern aber ein Gebäude in Bezug auf das Zusammenspiel aus vorbeugendem und abwehrendem Brandschutz funktional war und ob die verschiedenen gesetzlichen Schutzziele (Bauordnung, Bauproduktenverordnung, Umweltrecht, Kulturgutschutzgesetz) erreicht wurden, ist aus den Statistiken kaum entnehmbar. Diskussionen über baurechtliche Anforderungen sind somit bisher auf Expertenmeinungen, Annahmen oder vergleichende Rechnungen (z.B. Evakuierungssimulationen) gestützt.
Diese Lücke wollen die deutschen Feuerwehren durch Einsatzstellenbegehungen signifikanter Brände füllen. Grundlage der Erhebung ist der Regelkreis Brandschutz des Fachausschusses Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz (FA VB/G) der deutschen Feuerwehren, der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren im deutschen Städtetag (AGBF Bund) und des Deutschen Feuerwehrverbandes e. V.

Einsatzstellenbegehungen
Die deutschen Feuerwehren sind über den Fachausschuss VB/G aufgerufen, sich an der Einsatzstellenbegehung zu beteiligen. Über einen einheitlichen Erhebungsbogen [5] können Daten zum Einsatz (Alarmierung, Hilfsfrist, Eingreifzeit Löschmaßnahmen), zum Gebäude (Gebäudeklasse, Bauweise, Geschossigkeit) und zu einzelnen Aspekten des VB (Ausbreitung Feuer und Rauch, Erkennbarkeit und Nutzung von z.B. Steigleitungen, Wandhydranten, Feuerwehrplänen, Löschwasserversorgung, Umweltaspekte) mit insgesamt über 100 Merkmalen erhoben werden. Signifikante Brände sind Brände, die nach Erkenntnis der begehenden Sachverständigen Auswirkungen auf die Bausubstanz entfalteten oder das Potential dazu hatten.
Das heißt konkret, dass das Einsatzszenario „angebranntes Essen“ ohne weitere Brandausbreitung nicht berücksichtigt wird, aber ein ausgedehnter Zimmerbrand mit Personenschaden oder/und einer Ausbreitung über die Fassade erfasst wird. Zur Bewertung dieser vermeintlichen Unschärfe der Erhebung ist zu berücksichtigen, dass schon ab Gruppenführerebene die Feuerwehrführungskräfte im vorbeugenden Brandschutz geschult werden und somit fachkundig die Brände bewerten können [6].
Der Datenbestand umfasst mit Stand Oktober 2021 740 Datensätze. Die meisten Daten kommen bisher aus München und anderen Großstädten (s. Abb. 2). In München und Berlin unterstützen Studierende im Rahmen ihrer Masterarbeiten die Feuerwehren bei der Datenbeschaffung und -auswertung. In München kooperiert die Branddirektion dabei seit mehreren Jahren mit der Technischen Universität München, Lehrstuhl Baukonstruktion und Holzbau. Die Studierenden recherchieren die Daten der Einsätze, begehen zusammen mit erfahrenen Kräften der Feuerwehr, Abteilung Einsatzvorbeugung – VB – die Einsatzstellen vor Ort und im nahen Umland und fassen die lokalen Daten und die Daten der anderen teilnehmenden Feuerwehren zusammen.

Datenbestand und Auswertungen
Aufgrund der starken Beteiligung von Großstädten ist der Datenbestand klar urban geprägt, und die Gebäudeklassen 4 und 5 sind im Vergleich zum gesamten Gebäudebestand überrepräsentiert (s. Abb. 4). Vergleicht man den Datenbestand der Einsatzstellenbegehung mit dem ebenso aktuellen, aber deutlich umfangreicheren Datenbestand (ca. 4.900 Datensätze insgesamt) der vfdb-Statistik [1], so ergibt sich, unter Ausklammerung von Fehlalarmen bei der vfdb-Statistik, eine gute Übereinstimmung der Verteilung der Nutzungsarten, was die Repräsentativität des Datenbestandes der Feuerwehren zur Untersuchung von Brandauswirkungen bestätigt. Die Auswertungen geben interessante Einblicke in die Schutzzielerfüllung der Bauordnung und bestätigen aus Sicht der Autoren Einsatzerfahrungen der Feuerwehren.

Die Rauchausbreitung macht den größten Anteil der Schutzzielbetrachtungen aus (s. Abb. 5).
Die Brandausbreitung über Nutzungseinheiten hinweg konnte im Vergleich deutlich seltener beobachtet werden (ca. 15 %); Gebäudegrenzen – also Brandwände und Brandwandersatzwände im bauordnungsrechtlichen Sinne – wurden nahezu nie überschritten (ca. 3 %).
Eine Einzelbetrachtung der Ausbreitung über Gebäudegrenzen hinweg ergab, dass vor allem Brandausbreitungen in der Gebäudeklasse 2, und zwar insbesondere im Bereich des Dachstuhls, vorlagen, was an brennbaren Dachvorsprüngen liegen könnte. Diese Detailauswertung deckt sich auch gut mit der kommunizierten Einsatzerfahrung der Feuerwehren.

Bemerkenswert ist zudem, dass bei den Rauchausbreitungswege geprägt sind von Wohnungstüren (32 %), Fenstern (19 %), Leitungen und Schächten (14 %). Die anderen Wege, etwa Bausubstanz (z.B. Fehlbodendecken), durch Rettung/Löschangriff geöffnete Türen, (offen gekeilte) Brandschutz- und Rauchschutztüren treten dahinter deutlich zurück in den einstelligen Prozentbereich der beobachteten Rauchausbreitungen.
Die wenigen Fälle von Brandausbreitungen sind am häufigsten im Bereich „Durchbrand Bausubstanz“ (i.d.R. Fehlbodendecken), Dachkonstruktion sowie fehlerhafte bzw. fehlende Abschottung anzutreffen (zwischen 12 und 16 %). Alle anderen kategorisierten Wege sind im einstelligen Prozentbereich angesiedelt (Brandausbreitung über z.B. Fassade, Balkone, Türen oder Fenster).
Aus Sicht der Autoren ist klar, dass nicht abgeschlossene Eigenrettungen im Einsatzverlauf häufig zu Rettungen durch die Feuerwehr führen. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Feuerwehr nicht über andere Wege als den Treppenraum retten kann, werden unweigerlich mehr Menschen in ihrer Gesundheit und ihrem Leben akut bedroht. Es handelt sich um ein klassisches Präventionsparadox: Die Einführung der zweiten Rettungswege führt zu deutlich niedrigeren Opferzahlen, und diese dienen nun als Begründung, den zweiten Rettungsweg infrage zu stellen.
Diese einzeln ausgewerteten Merkmale aus dem VB-Einsatzstellenbegehungsbogen zeigen bereits eindrücklich, dass das im Bestand zu beobachtende Sicherheitsniveau im baulichen Brandschutz in Bezug auf die Brandausbreitung sich gut ausgeprägt darstellt. Hingegen ist die volatile (flüchtige) Rauchausbreitung die Hauptgefährdung für die Personen im Gebäude. Daher wurde die Rauchausbreitung in Beziehung zu anderen Gebäudemerkmalen gesetzt. Eine erste Annahme und Befragung von Feuerwehrführungskräften ergab das Bild, dass man eine Korrelation zwischen dem Gebäudealter und der beobachteten Rauchausbreitung erwarten würde. Die Nutzung eines logistischen Regressionsmodells [7] zeigt überraschend, dass das Gebäudealter nur einen geringen statistisch nachweisbaren Einfluss auf die Rauchausbreitung hat.
Aus Sicht der Münchener Brandverhütungsschau (Feuerbeschau als bayerischer Rechtsbegriff) deckt sich dies mit der Erfahrung vor Ort, dass der Wartungszustand eines Gebäudes (z.B. ausgehängte oder defekte Türschließer, Türdichtungen, Schottungen zwischen Keller und Treppenraum) nicht vom Gebäudealter, sondern vielmehr vom Eigentümer abhängt. Wir beobachten klar, dass die übernommene Verantwortung sich stark unterscheidet und tendenziell bei Genossenschaften und bei Einzeleigentümern besser ausgeprägt ist.

Diese empirische Beobachtung passt auch gut mit einer weiteren Auswertung zusammen: Die Rauchausbreitung steht in klarem statistischem Zusammenhang mit der Größe des Gebäudes im Brandfall. Es konnte gezeigt werden, dass bei zunehmender Geschossigkeit (dazu wurden alle Geschosse inkl. Untergeschosse gezählt) die Wahrscheinlichkeit einer Rauchausbreitung deutlich nachweisbar zunimmt. In Abbildung 7 bedeuten geringere Werte eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass es nicht zu einer Rauchausbreitung kommt. Diese Auswertung ist aus einer rein symmetrischen Betrachtung unlogisch, wenn man davon ausgeht, dass ein Brand in einem Gebäude nicht „wissen“ kann, ob noch ein oder zehn Geschosse oberhalb liegen. Die kategorische Erfassung von „Rauchausbreitung außerhalb Nutzungseinheit“ ist davon unabhängig durchgeführt worden.
Zieht man aber die geschilderte empirische Beobachtung der deutlicheren Mängel in Gebäuden, die nicht inhabergeführt oder genossenschaftlich organisiert sind, in Betracht und berücksichtigt, dass die größeren Gebäude i.d.R. eben nicht mehr eine solche Inhaberstruktur aufweisen (größere Anonymität? mehr Distanz zum Gebäude?), dann kann die Korrelation zwischen Gebäudegröße und Rauchausbreitungswahrscheinlichkeit erklärbar werden. Eine weitere Ursache könnte, bei gleicher Hilfsfrist, die längere Zeitspanne bis zum Beginn der Lösch- und Rettungsarbeiten sein.

Fazit
Die Einsatzstellenbegehungen der deutschen Feuerwehren (AGBF/DFV) weisen deutlich die Verknüpfung zwischen Vorbeugendem und Abwehrendem Brandschutz nach. Eine hohe Quote der Rauchausbreitung wird im Bestand deutlich – ebenso der große Einfluss der Feuerwehren auf das Sicherheitsniveau in Deutschland. Die überraschende, aber statistisch fundierte Verbindung von Gebäudegröße und Rauchausbreitung unterstreicht aus Sicht der Feuerwehren die Sinnhaftigkeit von Brandverhütungsschauen in großen Wohngebäuden.
Günstige Maßnahmen des betrieblichen Brandschutzes, wie das Reparieren von Türselbstschließern können aus Sicht der Feuerwehren die Sicherheit im Bestand bereits deutlich erhöhen, da insbesondere Wohnungseingangstüren Wege der Rauchausbreitung sind. Die von einigen Experten infrage gestellte sog. „Einsatzerfahrung“ der Feuerwehr wird durch die Daten gestützt. Die Feuerwehren können in der Gremienarbeit damit objektivierter ihr bereits vorhandenes Wissen einbringen.
Quellen
[1] Festag, S.; Döbbeling, E.-P. (2020) vfdb-Brandschadenstatistik. Untersuchung der Wirksamkeit von (anlagentechnischen) Brandschutzmaßnahmen; Technischer Bericht vfdb TB 14-01. 1. Aufl. Februar 2020; Münster.
[2] Beever, P. (1992) How fire safety engineering can improve safety use of statistics; Fire Engineers Journal Band 52, Nr. 164.
[3] DIN 18009-1:2016-09 „Brandschutzingenieurwesen – Teil 1: Grundsätze und Regeln für die Anwendung“, Beuth-Verlag, https://dx.doi.org/10.31030/2537139
[4] Institut für Schadensverhütung und Schadensforschung (2020) IFS-Brandursachenstatistik 2019; Kiel
[5] AGBF (2017) Evaluierungsbogen zu Maßnahmen des Vorbeugenden Brand- und Gefahrenschutzes (Einsatzstellenbegehung); Version Mai 2017, Aktualisierung: 21. April 2020; München [Zugriff am: 19.10.2021]. https://www.agbf.de/downloads-fachausschuss-vorbeugender-brand-und-gefahrenschutz
[6] Ausschuss Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung (2012) Feuerwehr-Dienstvorschrift 2 – FwDV 2; Ausbildung der Freiwilligen Feuerwehren. Ausgabe 01.2012
[7] Moritz Göldner (2021) Evaluierung der Maßnahmen des vorbeugenden Brand- und Gefahrenschutzes – Teil 4: Ermittlung und Bewertung quantifizierter Ausbreitungsfaktoren [Master Thesis]. Technische Universität München
Der Artikel ist in Ausgabe 1.2022 des FeuerTrutz Magazins (Februar 2022) erschienen.
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