Hinweisschild "Rettungsweg für die Feuerwehr freihalten" vor einer Hauswand
Feuerwehraufstellflächen sind nach Art. 5 Abs. 2 BayBO ständig freizuhalten. (Quelle: FeuerTrutz Network)

Recht 4. August 2022 Widerrufsvorbehalt in Baugenehmigung

VG München, Urteil vom 19.07.2021 –  M 8 K 21.1170 – , juris
VGH München, Beschluss vom 28.03.2022 – 2 ZB 21.2098 –, juris

Eine Baugenehmigung für eine Wohnanlage mit 2. Rettungsweg über anleiterbare Fenster zur Straße enthielt den Zusatz, dass der Bauantrag im vereinfachten Genehmigungsverfahren "stets widerruflich" genehmigt werde. Für den Fall, dass sich eine Änderung der öffentlichen Straße ergebe, könne ein Widerruf der Baugenehmigung erfolgen. Gegen den Widerrufsvorbehalt hat die Klägerin Klage erhoben.

Der Sachverhalt

Der Klägerin wurde eine Baugenehmigung für die Errichtung einer sechsgeschossigen Wohnanlage mit 28 Wohneinheiten und Tiefgarage im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt. Der auf Antrag der Klägerin zu prüfende Brandschutznachweis sah u.a. den 2. Rettungsweg über anleiterbare Fenster zur Straße vor. Die Vorderfront des Gebäudes grenzte unmittelbar an die öffentliche Straße.

Die Baugenehmigung enthielt den Zusatz, dass der Bauantrag im vereinfachten Genehmigungsverfahren „stets widerruflich“ genehmigt werde. Der Brandschutznachweis sei bei der Durchführung des Vorhabens zwingend umzusetzen. Da das Vorhaben seinen 2. Rettungsweg über öffentlichen Straßengrund nachweise, an dem keine dingliche Sicherung bestellt werden könne, es der Klägerin also nicht möglich sei, dessen ständige Freihaltung zu gewährleisten, sei der Vorbehalt des Widerrufs gem. Art. 5 Abs. 2 BayBO in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG zu erteilen gewesen. Nach Art. 5 Abs. 2 BayBO seien Feuerwehraufstellflächen ständig freizuhalten. Für den Fall, dass sich eine Änderung der öffentlichen Straße ergebe, die zum Entfall des 2. Rettungswegs führe, könne nach pflichtgemäßem Ermessen ein Widerruf der Baugenehmigung erfolgen. Der Widerruf diene damit dem Zweck, auf künftige Entwicklungen der Sachlage reagieren zu können, welche zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hinreichend absehbar seien. Ein Anspruch auf unveränderte Beibehaltung des öffentlichen Straßenraums bestehe nicht.

Gegen den Widerrufsvorbehalt hat die Klägerin Klage erhoben. Der Widerrufsvorbehalt sei nicht geeignet, um sicherzustellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Baugenehmigung erfüllt wurden. Er sei vielmehr in unzulässiger Weise „auf Vorrat“ erlassen worden.

Die beklagte Behörde war der Ansicht, der Bauherr sei in der Pflicht, auch die bauordnungsrechtlich erforderlichen zwei Rettungswege auf dem eigenen Grundstück nachzuweisen. Anderenfalls sei die Gemeinde in der Ausübung ihrer hoheitlichen Allgemeinwohlaufgaben im öffentlichen Straßenraum auf Dauer blockiert und in der Ausübung ihres Eigentumsrechts beschnitten. Auf die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs bestehe nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz kein Anspruch. Eine optimale Grundstücksnutzung bzw. eine konkrete Bebaubarkeit sei gerade nicht vom Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs umfasst. Außerdem entspreche der 2. Rettungsweg bauordnungsrechtlichen Anforderungen nur dann, wenn sichergestellt sei, dass er auch benutzbar bleibe. Dies könne die Klägerin nicht gewährleisten.

Das VG gab der Klage der Klägerin statt, woraufhin die Beklagte die Zulassung der Berufung beantragte.

Die Entscheidung

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg. Der VGH führte zur Begründung aus:

Der in der Baugenehmigung enthaltene Widerrufsvorbehalt sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Er sei mangels Eignung, die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Baugenehmigung sicherzustellen, von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG nicht gedeckt.

Der Widerrufsvorbehalt sei nicht geeignet, die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens herzustellen. Der Vorbehalt könne eine dauerhafte Sicherung der Freihaltung der nötigen Aufstellflächen nicht gewährleisten. Ausweislich der Begründung der Baugenehmigung wolle die Beklagte mit dem Widerrufsvorbehalt ausdrücklich sicherstellen, dass ihr nicht verwehrt werde, Änderungen in der Straßensituation herbeizuführen. Der Vorbehalt diene ausdrücklich nicht dazu, die Freihaltung der nötigen Aufstellflächen dauerhaft zu sichern, sondern bei einer Änderung der tatsächlichen Situation die Baugenehmigung zu widerrufen. Der Widerrufsvorbehalt diene somit nicht der Herstellung der Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens, sondern erleichtere deren Wegfall. Demgegenüber stelle eine Anordnung gemäß Art. 54 BayBO aber ein milderes Mittel dar.

Ausweislich des Rundschreibens des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr vom 5. September 2018 (Az. 27-4112.424-1-7) sei für den zweiten Rettungsweg über das Rettungsgerät der Feuerwehr keine rechtliche Sicherung des öffentlichen Straßenraumes erforderlich. Dies sei stimmig, da sich eine für die Aufstellung der Rettungsfahrzeuge freizuhaltende Fläche regelmäßig auf die gesamte Länge der Straße erstrecken würde, an welcher das Gebäude anliegt. Eine öffentliche Straße sei per se zur Aufnahme des fließenden Verkehrs gedacht und daher grundsätzlich freizuhalten. Eine zusätzliche rechtliche Sicherung sei insoweit obsolet. Würde man der Rechtsauffassung der Beklagten folgen, würde bei vielen unmittelbar am öffentlichen Verkehrsraum anliegenden Gebäuden die baurechtliche Genehmigungsfähigkeit fehlen. Die Sicherung einer Aufstellfläche möge bei privaten Flächen etwa in Innenhöfen nötig sein. Allenfalls könne eine Freihaltung öffentlicher Verkehrsflächen durch eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung erforderlich sein, wenn in einem konkreten Einzelfall ausschließlich ganz bestimmte Bereiche der öffentlichen Verkehrsfläche, z.B. ein Parkstreifen, als Aufstellfläche geeignet wären. Dies sei aber vorliegend gerade nicht der Fall.

Im Übrigen habe die Klägerin keine dauerhafte Genehmigung zur Nutzung öffentlichen Raums beantragt, welche auch nicht Gegenstand der Baugenehmigung selbst sei. Der genehmigte Brandschutznachweis sehe den zweiten Rettungsweg für einzelne Wohnungen über anleiterbare Fenster zur öffentlichen Straße hin vor. Eine dezidierte Ausweisung von freizuhaltenden Aufstellflächen von Feuerwehr- und sonstigen Rettungsfahrzeugen auf der öffentlichen Straße sei schon nicht Inhalt des Brandschutznachweises oder gar der Baugenehmigung. Es sei auch nicht erkennbar, dass die Straßensituation unverändert beizubehalten wäre. Bei einer Änderung der Straßensituation müsse die Beklagte ggfs. berücksichtigen, dass eine Anleiterbarkeit weiterhin gewährleistet wäre. Dies beträfe jedoch auch alle anderen an der betreffenden Straße liegenden Gebäude.

Die Folgen

Es handelt sich um eine erfreulich klare Entscheidung zu einem seit Jahren umstrittenen Thema. VG und VGH München bestätigen, dass eine rechtliche Sicherung der Aufstellfläche im öffentlichen Straßenraum weder erforderlich noch rechtlich möglich ist.

Versuchen, der öffentlichen Hand den ungeschmälerten Zugriff auf den öffentlichen Straßenraum, trotz Bebauung der angrenzenden Grundstücke, zu erhalten, wird ein Riegel vorgeschoben. Zuletzt hatte auch das Bauministerium NRW am 30.12.2021 darauf hingewiesen, dass öffentliche Straßen dem Gemeingebrauch dienen und der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die öffentliche Verkehrsfläche vor einem Grundstück für den Einsatz durch die Feuerwehr genutzt werden kann. Es sei jedoch sinnvoll, die Straßenbaubehörde zu informieren, weil sie dann bei der Entscheidung über Straßeneinrichtungen oder Anträge auf Sondernutzungserlaubnis oder geplante Straßenumbauten auf die Aufstellflächen Rücksicht nehmen kann.

In diesem Sinne hielt das OVG Hamburg (Urteil vom 29.11.2001 – 2 Bs 161/01 –, juris) den Wegebaulastträger für verpflichtet, bei Erteilung der Baugenehmigung bestehende Zufahrtsmöglichkeiten zu erhalten. Eine Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers bei Beseitigung der Anleitungsmöglichkeit durch Änderungen im öffentlichen Straßenraum sei ermessensfehlerhaft; Störer sei in diesem Fall die Wegebaubehörde. Eine Aufstellfläche im öffentlichen Verkehrsraum setzt eine hinreichende Straßenbreite voraus. Auf die Beseitigung von öffentlichen Parkplätzen bzw. die Anordnung eines Halteverbotes hat der Bauherr eines Neubaus keinen Anspruch (vgl. zuletzt VG Minden, Urteil vom 28.01.2022 –  1 K 4844/18 – juris).

Der Artikel ist in Ausgabe 3.2022 des FeuerTrutz Magazins  (Juni 2022) erschienen.

zuletzt editiert am 04.08.2022