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Abb. 1: Die ASR A2.3 konkretisiert Anforderungen der Verordnung über Arbeitsstätten und regelt, wie Fluchtwege und Notausgänge beschaffen sein müssen. (Quelle: StartupStockPhotos auf Pixabay)

Planung | Ausführung 21. March 2023 ASR A2.3: Personenstromanalysen zur Kompensation von Abweichungen

Für Gebäude, die als Arbeitsstätte genutzt werden, regelt die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A2.3, wie Fluchtwege und Notausgänge beschaffen sein sollen. Die Novellierung dieser Regel im März 2022 sieht konkrete Änderungen in deren Konzeptionierung vor. Erfüllen Rettungswege die Vorgaben der technischen Regel nicht, kann die Personenstromanalyse ein Mittel sein, Abweichungen im Bereich der Breiten der Wege und Türen nach Ingenieurmethoden wissenschaftlich zu beurteilen.

Die Arbeitsstättenregel A2.3 regelt die Anforderungen an Fluchtwege und Notausgänge für den Bereich der Arbeitsstätten. Unternehmer müssen diese Anforderungen umsetzen. Bei Abweichungen müssen Maßnahmen über die Gefährdungsbeurteilung getroffen werden, und zugleich sind Maßnahmen festzulegen, die ein gleichwertiges Schutzzielniveau erreichen, wie es der Gesetzgeber über den Stand der Regeln der Technik wiedergibt.

Die Änderungen der Novellierung betreffen sowohl die ASR A2.3 als auch die weiteren, angrenzenden Regelwerke wie die ASR A1.8 für Verkehrswege und auch diejenigen für Sicherheitsbeleuchtungen. Dies hat Auswirkungen auf die Peripherie innerhalb des Arbeitsstättenregelwerks. Abschließend konkretisiert die ASR die Anforderungen aus der Arbeitsstättenverordnung.  

Verbindlichkeit und Schnittstellen zum baurechtlichen Brandschutz

Die Arbeitsstättenregeln haben eine Vermutungswirkung und repräsentieren den Stand der Regeln der Technik. Der Arbeitgeber hat sie im Rahmen seiner Beurteilung der Arbeitsstätten und Umgebungsbedingungen umzusetzen. Die Vermutungswirkung entlastet den Arbeitgeber insofern, wie davon ausgegangen werden kann, dass er bei Umsetzung der entsprechenden Vorgaben die vom Gesetzgeber erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten bzw. die Verordnung erfüllt sind.

Bei entsprechenden Abweichungen gilt es sensibel mit diesen umzugehen. Es muss genau überprüft werden, wie die Abweichungen begründet werden und welche alternativen Maßnahmen unter Betrachtung des gesetzlich vorgegebenen Schutzzielniveaus getroffen werden können. Dies muss stichhaltig dargelegt werden. Beispielhaft genannt sei die Einschränkung der Flucht- und Rettungswegbreiten, die auf wissenschaftlicher Basis dargelegt werden muss.

Für Arbeitsstätten gelten grundsätzlich die Arbeitsstättenregeln. Berührungspunkte mit baurechtlichen Themen gibt es, insoweit ein baurechtlich genehmigtes Gebäude als Arbeitsstätte genutzt wird.

Das Baurecht reglementiert bereits Anforderungen an die Rettungs- und Fluchtwege. Aufgrund der Nutzung des Gebäudes als Arbeitsstätte können jedoch weitere Anforderungen durch den Arbeitsschutz gestellt werden, die über das Baurecht hinausgehen. Dies bedeutet, dass ein genehmigtes Brandschutzkonzept nicht zwingend hinreichend ist, um Abweichungen im Arbeitsschutz darzulegen. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Gemäß Arbeitsstättenverordnung müssen Türen von Notausgängen in Fluchtrichtung aufschlagen. In der Praxis sieht das im Bestand vielfach anders aus.

Obwohl eine baurechtliche Genehmigung vorliegt, muss im Einzelfall geprüft werden, ob auch die Anforderungen im Arbeitsschutz erfüllt werden. Da kann es zu Differenzen kommen bzw. weitergehende Anforderungen aus der Arbeitsstättenverordnung können gestellt werden. Dabei weist die ASR A2.3 neuerdings nach, dass z.B. aufgrund des Denkmalschutzes automatische Drehflügeltüren von Notausgängen unter bestimmten technischen und organisatorischen Voraussetzungen entgegen der Fluchtrichtung aufschlagen können.

Welche Unterlagen sind zu aktualisieren?

Laut Arbeitsstättenverordnung ist der Arbeitgeber verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung seiner Arbeitsstätte und der Umgebungsbedingungen zu erstellen. Sie muss dokumentiert und regelmäßig aktualisiert werden. Kommt eine neue Regel zum Tragen (wie im März 2022 die Novellierung der ASR A2.3), ist die Gefährdungsbeurteilung zu überprüfen: ganzheitlich, allumfassend und bezogen auf die gesamte Arbeitsstätte.

Wesentliche Neuerungen

Die Novellierung der ASR A2.3 ersetzt die Vorgängerversion. Im Wesentlichen geht es um Änderungen in der Konzeptionierung der Fluchtwege. So wurden z.B. aus dem ersten und zweiten Fluchtweg nun Haupt- sowie Nebenfluchtweg. Die grundlegende Funktion der Haupt- und Nebenfluchtwege besteht fortan primär in der Selbstrettung.

Allerdings sind Änderungen in den Anforderungen der Ausbildung vorgenannter Wege festgelegt. Die neuen Vorgaben beziehen sich auf die Höhe und Breite von Durchgängen und Türen einerseits, andererseits auf die klassischen Verkehrs- und Fluchtwege. Die Breitenvorgaben sind nunmehr differenzierter dargestellt mit Blick auf die Zahl der Personen, die auf diese Fluchtwege angewiesen sind. Bei einem Durchgang in einem Fluchtweg, auf den 21 bis 200 Personen angewiesen sind, galten bisher 1,20 m lichte Breite. Nun gibt es neue Staffelungen in Abhängigkeit von der darauf angewiesenen Personenzahl. Nutzen 101 bis 200 Personen einen Durchgang als Hauptfluchtweg, muss dieser nur noch 1,05 m (anstelle 1,20 m) breit sein. Das kommt Unternehmern insofern zugute, als bisherige Unterschreitungen in den Fluchtwegbreiten nunmehr im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung neu bewertet werden können.

Symbol Rettungsausstieg E017
Abb. 2: In der ASR A1.3. sind einzelne Sicherheitszeichen, z.B. Rettungsausstieg E017, ersatzlos gestrichen worden. (Quelle: FeuerTrutz Network GmbH)

Weitere Änderungen beziehen sich auf die Fluchtwege, konkret die lichten Breiten von Treppen sowie ihren Türzugängen. Die Vorgaben sind ebenso abhängig von der Zahl der Personen, die pro Etage diese Treppen nutzen. Geändert hat sich weiterhin die Sicherheitskennzeichnung bei der ASR A1.3. So sind etwa einzelne Sicherheitszeichen (Beispiel Abb. 2) ersatzlos gestrichen worden. Neue hinzugekommene Sicherheitszeichen wiederum regeln den Umgang mit Schiebetüren im Verlauf von Fluchtwegen. Auch die Anforderungen an Sammelstellen wurden konkretisiert. Vorgegeben sind nunmehr mind. 0,5 m² Fläche je Person. Dementsprechend ist zu prüfen, ob die Gesamtfläche für die Sammelstelle hinreichend ist.

Die Überprüfung der funktionierenden Evakuierung des Gebäudes und damit auch des Fluchtwegesystems wird in der Form konkretisiert, dass diese im Rahmen von Übungen in Abständen von zwei bis fünf Jahren erfolgen soll.

Bewertung von Unterschreitungen der Fluchtwegbreiten im Bestand und Ansätze zur Kompensation

Der Arbeitgeber muss die Fluchtwegbreiten aus Sicht des Arbeitsschutzes beurteilen. Es ist naheliegend, dass die ASR A2.3 als Stand der Technik herangezogen wird, da sie über tabellarische Vorgaben die Zahl der Personen in Abhängigkeit vom Fluchtweg dimensioniert und bewertet. Weist eine Tür, durch die z.B. 40 Personen flüchten müssten, nur eine lichte Breite von 0,80 m statt 0,90 m auf, müsste sie baulich verbreitert werden. Für den Arbeitgeber kann dies sehr kostenintensiv werden, wenn mehrere Türen, Treppen oder Durchgänge betroffen sind.

Da setzt die Personenstromanalyse an, die bereits aus baurechtlichen Genehmigungsverfahren im vorbeugenden Brandschutz bekannt ist. Sie ermittelt die erforderliche Räumungszeit von Personen aus einem Gebäude und wird vielfach im Bereich der Sonderbauten mit einer großen Zahl von Personen/Besuchern eingesetzt. So geht es z.B. bei Versammlungsstätten darum zu prüfen, ob die Rettungswege im Hinblick auf die Schutzzielerfüllung (Evakuierung von Personen) ausreichen. Mithilfe der Personenstromanalyse wird überprüft, ob die Rettungswege trotz möglicher Unterschreitungen der lichten Breiten und unter Berücksichtigung der Alarmierungs- und Reaktionszeiten ausreichenden Personenschutz bieten, um das Gebäude sicher zu verlassen. Die Personenstromanalyse ist also ein Berechnungsmodell, das bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung helfen kann, Abweichungen – wissenschaftlich untermauert – zur Erfüllung des Schutzziels nachzuweisen.  

Beispiel für die Anwendung der Personenstromanalyse nach DIN 18009-2

Am folgenden Beispiel wird die Anwendung der Personenstromanalyse nach DIN 18009-2 im Zuge der arbeitsschutztechnischen Beurteilung verdeutlicht. Abb. 3 zeigt das 4. Obergeschoss eines Bürogebäudes, das durch insgesamt 100 Personen bei einer Vollbelegung der Etage genutzt wird.

Grundriss eines Verwaltungsgebäudes mit Simulation
Abb. 3: Grundriss 4. OG der Verwaltung mit Simulation (Quelle: BAD Gesundheitsvorsorge u. Sicherheitstechnik GmbH / SIMTEGO)

Der 1. Rettungsweg bzw. Hauptfluchtweg wird baulich über den innen liegenden notwendigen Treppenraum mit einer Tür im Lichten von 1,20 m sichergestellt. Die Alarmierung erfolgt über eine flächendeckende Brandmeldeanlage und akustische Signaltongeber.

Grafik einer Simulation: Besprechungsraum mit reduzierten Türbreiten
Abb. 4: Besprechungsraum mit reduzierten Türbreiten (Quelle: BAD Gesundheitsvorsorge u. Sicherheitstechnik GmbH / SIMTEGO)

In Abb. 4 wird die reduzierte Türbreite von 0,80 m der Türen zum Besprechungsraum dargestellt. Der Besprechungsraum selbst kann mittels mobiler Trennwand aufgeteilt werden und je nach Sitzanordnung von bis zu 28 Personen genutzt werden. Im Zuge der Simulation werden, wie in Abb. 5 und 6 dargestellt, die Stauungszeiten unter Berücksichtigung max. Einzelstauzeiten untersucht. In der Simulation werden dann die Staubereiche farblich voneinander hervorgehoben (vgl. Abb. 3).

Mit Bezug auf die in der DIN 18009-2 vorgesehenen Grenzwerte wird von einer Gesamtstaudauer von ≤ 2 Minuten bzw. einer max. Einzelstaudauer von ≤ 1 Minute ausgegangen. Mit Blick auf die Gesamtentfluchtungszeit, die sich zusammensetzt aus:

  • Detektionszeit (automatische Branddetektion: Kenngröße Rauch),
  • Alarmierungszeit,
  • max. Reaktionszeit,
  • Entfluchtungszeit,

kommt man so, wie in vorgenanntem Praxisbeispiel, zu dem Ergebnis, dass eine Tür mit 0,80 m lichter Breite bei einer Personenzahl von 20 bzw. acht bei einer Gesamtentfluchtungszeit von 5,22 Minuten (zulässig bis sechs Minuten) hinreichend sein kann, um das geforderte Schutzziel zu erreichen.

Diagramm mit maximalen Stauzeiten einer Simulation
Abb. 5: Stauzeiten (Quelle: BAD Gesundheitsvorsorge u. Sicherheitstechnik GmbH / SIMTEGO)

In diesem Zusammenhang wird auf die DIN 18009-2 verwiesen, die die Räumungszeiten in Abhängigkeit von der Alarmierung im Gebäude berücksichtigt, z.B. einer flächendeckenden Brandmeldeanlage, einer Hausalarmierung, Teilüberwachung, bzw. davon, wie viele Geschosse das Gebäude aufweist. Dieses Hilfsinstrument ermöglicht es, auf der einen Seite kosteneinsparend schutzzielorientierte Ergebnisse zu erzeugen und auf der anderen Seite auf bauliche Maßnahmen innerhalb eines Gebäudebetriebs zu verzichten. Abschließend ist zu empfehlen, das Vorhaben mit den für den Arbeitsschutz zuständigen Stellen auf Behördenseite abzustimmen.

Diagramm mit maximale Einzelstauzeiten in einer Simulation
Abb. 6: Maximale Einzelstauzeiten (Quelle: BAD Gesundheitsvorsorge u. Sicherheitstechnik GmbH / SIMTEGO)

Der Artikel ist in Ausgabe 1.2023 des FeuerTrutz Magazins (Februar 2023) erschienen.

Quellen

  • Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A2.3: Fluchtwege und Notausgänge, März 2022
  • DIN 18009-2:2022-08: Brandschutzingenieurwesen – Teil 2: Räumungssimulation und Personensicherheit, Beuth Verlag GmbH
  • Arbeitsstättenverordnung vom 12. August 2004 (BGBl. I S. 2179), zuletzt geändert durch Art. 4 G v. 22.12.2020
  • Bericht zur EVAKUIERUNGSSIMULATION 4. Obergeschoss eines Verwaltungsgebäudes, BAD Gesundheitsvorsorge u. Sicherheitstechnik GmbH, Gesundheitszentrum Stuttgart, 14.03.2022
  • Software: SIMTEGO ist Vertriebspartner der Thunderhead Engineering Consultants, Inc. (Kansas, USA) für PyroSim und Pathfinder
  • Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A1.3: Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung, Februar 2013, zuletzt geändert 2022
zuletzt editiert am 21.03.2023