Grundsätzlich besagen brandschutztechnische Anforderungen an Rettungswege, dass unter Berücksichtigung des Schutzziels – nämlich der ausreichend langen Nutzbarkeit im Brandfall – eine Minimierung von Brandlasten und Brandentstehungsgefahren anzustreben ist. Dies bedeutet jedoch keine generelle Brandlastfreiheit, wie in Brandschutzkonzepten häufig formuliert wird. Der Beitrag erörtert grundsätzliche Möglichkeiten.
Von Prof. Dr.-Ing. Gerd Geburtig. Auf der Grundlage der Musterbauordnung (MBO) [1] werden in allen Landesbauordnungen hinsichtlich der Ausführung von notwendigen Fluren, notwendigen Treppenräumen und notwendigen Treppen als wesentliche Bestandteile der Rettungswege entsprechende Anforderungen gestellt. Aus bauordnungsrechtlicher Sicht müssen dazu zunächst die Bedingungen für Bauteile, die Rettungswege begrenzen, eingehalten werden. Das betrifft vor allem die Oberflächen von Wänden und Decken, die Öffnungsabschlüsse sowie teilweise die Bodenbeläge.
Dabei gilt der wesentliche Grundsatz, dass die Nutzung der Rettungswege "im Brandfall ausreichend lang möglich" sein muss [1]. Eine grundsätzliche Brandlastfreiheit wird dafür – wie so oft fälschlich angenommen – jedoch nicht verlangt. Diese wäre auch gar nicht möglich, denn Rettungswege werden bestimmungsgemäß täglich von den in einem Gebäude befindlichen Menschen genutzt. Zudem werden auf den Rettungswegen viele Brandlasten transportiert.
Selbst Schmutzfangmatten auf dem Boden (Sauberlaufzonen) wären bei formaler Auslegung einer Nichtbrennbarkeit von Rettungswegen ausgeschlossen, was vom Gesetzgeber jedoch sicherlich nicht intendiert ist.
Bauordnungsrechtliche Regelungen der MBO für Rettungswege
Neben der vorgenannten pauschalen Anforderung bestehen im Bauordnungsrecht konkrete materielle Anforderungen an die Beschaffenheit der Rettungswege in baulichen Anlagen.
Bei notwendigen Fluren und Treppenräumen kommt es dabei insbesondere auf die Ausbildung der Oberflächen der Wände und der Deckenbereiche an.
In diesen Bestandteilen eines Rettungswegsystems müssen gemäß §§ 35 und 36 MBO Bekleidungen, Putze, Dämmstoffe, Unterdecken und Einbauten aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen. Wände und Decken aus brennbaren Baustoffen müssen eine Bekleidung aus nichtbrennbaren Baustoffen in ausreichender Dicke haben [1]. Für notwendige Treppenräume wird darüber hinaus gefordert, dass Bodenbeläge, ausgenommen Gleitschutzprofile, aus mindestens schwerentflammbaren Baustoffen bestehen. Dies ist für notwendige Flure nicht geregelt, sodass z.B. hölzerne Bodenbeläge generell zulässig sind.

Will man von diesen Vorgaben abweichen, liegt ggf. ein Abweichungstatbestand vor – je nachdem, ob es sich um einen Standard- oder einen Sonderbau handelt. Dieser Tatbestand ist mit einer Abweichungsentscheidung nach § 67 MBO bzw. der Gestattung einer Erleichterung nach § 51 MBO zu regeln. Mit Letzterer konnte z.B. im notwendigen Flur eines historischen Schulgebäudes eine historische hölzerne Lambris aus denkmalpflegerischen Gründen erhalten bleiben (s. Abbildung 2).
Eine Auslegung zum sachgerechten Umgang mit Brandlasten in Rettungswegen aus bauordnungsrechtlicher Sicht vermittelt die Bekanntmachung zum Vollzug der Thüringer Bauordnung (VollzBekThürBO) wie folgt [2]:
"Aus der Anforderung der Nichtbrennbarkeit der Oberflächen von Wänden und Decken ergibt sich unter Berücksichtigung des Schutzziels der ausreichend langen Nutzbarkeit im Brandfall eine Minimierung von Brandlasten und Brandentstehungsgefahren. Daraus ist abzuleiten, dass notwendige Flure von Brandlasten weitgehend freizuhalten sind. Baustoffeigenschaften für Bodenbeläge sind nicht geregelt. Aus der Systematik des § 35 Abs. 5 Nr. 3 [ThürBO] ergibt sich, dass mindestens schwerentflammbare Baustoffe jedenfalls ausreichen."
Dieser Aussage sind die folgenden Grundsätze zu entnehmen:
- Es besteht keine Forderung nach einer prinzipiellen Brandlastfreiheit in Rettungswegen.
- Brandlasten in Rettungswegen sind lediglich zu minimieren.
- Im Vordergrund steht die Nichtbrennbarkeit der Oberflächen von Wänden und Decken im Verlauf von Rettungswegen.
Auch wenn ein Teil eines Rettungswegs innerhalb einer Kindertagesstätte z.B. kein notwendiger Flur ist, sondern ein sogenannter Spielflur, gelten die gleichen Spielregeln: Eine Brandlastfreiheit ist nicht erforderlich, aber durch entsprechende Maßnahmen muss gesichert sein, dass der Rettungsweg ausreichend zur Verfügung steht – sowohl zur Selbstrettung als auch für einen Feuerwehrangriff.
Zudem ist zu beachten, dass für die angemessene Beurteilung von zulässigen Brandlasten in Rettungswegen nur solche Szenarien anzunehmen sind, die sich aus dem bestimmungsgemäßen Gebrauch einer baulichen Anlage ergeben können. Eine im Einzelfall denkbare Brandstiftung zählt ausdrücklich nicht dazu.
Brandlasten in Rettungswegen: Möglichkeiten und Grenzen
Gleichrangige arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen
Neben den benannten bauordnungsrechtlichen Anforderungen existieren parallel erhebliche arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen hinsichtlich der korrekten Ausführung bzw. Nutzung von Rettungswegen.
Zu nennen sind an dieser Stelle stellvertretend die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) A2.3 [3], in deren arbeitsschutzrechtliche Belange hinsichtlich der Rettungswege und Notausgänge behandelt werden.
Oftmals werden in diesen Technischen Regeln des Arbeitsschutzes durchaus höhere Maßstäbe zur Sicherung von Rettungswegen angesetzt, als diese dem Bauordnungsrecht zugrunde liegen. Ein Grundsatz wird bei der Anwendung der vorgenannten Regeln regelmäßig außer Acht gelassen, obwohl der Gesetzgeber ihn bewusst vorangestellt hat [3]:
"Bei Einhaltung der Technischen Regeln kann der Arbeitgeber insoweit davon ausgehen, dass die entsprechenden Anforderungen der Verordnung erfüllt sind. Wählt der Arbeitgeber eine andere Lösung, muss er damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen."
Eine Schwierigkeit bei der sachgerechten Abwägung besteht dabei sowohl für Planende und Nutzer als auch für behördliche Vertreter regelmäßig wiederkehrend: Es gibt keine sogenannte Konzentrationswirkung einer Baugenehmigung. Bauherren und Architekten müssen beide Anordnungen gesondert "unter einen Hut" bringen, selbst wenn die beiden sich ggf. widersprechen.
Arbeitsschutz und Brandschutz stellen gleichrangige gesellschaftliche Schutzinteressen dar. Ungeachtet anderer Darstellungen seitens des Arbeitsschutzes sind beide in einem Entscheidungsprozess gegeneinander abzuwägen. Eine Forderung nach einer prinzipiellen Brandlastfreiheit von Flucht- oder Rettungswegen ist in der ASR A2.3 des Arbeitsschutzes nicht zu finden. Auch nach dieser kommt es vorrangig auf das mögliche sichere Verlassen der Arbeitsstätte im Gefahrenfall an. […]
Weiterlesen? Der vollständige Artikel ist im FeuerTrutz Magazin 5.2018 erschienen.
Er enthält zusätzlich Informationen zu den Empfehlungen der AGBF, verschiedene Praxisbeispiele, Konsequenzen für Brandschutzkonzepte und Brandverhütungsschauen und gibt ein Fazit.
Autor
Prof. Dr.-Ing. Architekt Gerd Geburtig: Planungsgruppe Geburtig; Fachautor und Dozent; Vorsitzender der regionalen Gruppe der WTA in Deutschland; Mitglied im Normungsausschuss Brandschutzingenieurverfahren (NABau) beim DIN; Prüfingenieur für Brandschutz
Literatur / Quellen
[1] Musterbauordnung (MBO), Fassung September 2002, zuletzt geändert durch Beschluss der Bauministerkonferenz vom 13.05.2016
[2] Vollzug der Thüringer Bauordnung (VollzBekThürBO), Bekanntmachung vom 3. April 2014 (hier Nr. 36.6)
[3] Technische Regeln für Arbeitsstätten, ASR A2.3: Fluchtwege und Notausgänge, Flucht- und Rettungsplan, Ausgabe August 2007, zuletzt geändert GMBl 2017
[4] Empfehlungen zur Risikoeinschätzung von Brandlasten in Rettungswegen, AGBF, AK Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz, Stand Mai 2014
[5] Brandlasten in Rettungswegen. Grundlagen für Einzelfallbetrachtungen, Plum, A., Beitrag zur Brandschutz-Tagung 2016, Aachen 2016