Eine Nachtaufnahme einer großen Industrieanlage mit zahlreichen beleuchteten Strukturen und rauchenden Schornsteinen.
Die Industriebaurichtlinie mit Stand 2019 hat eine deutliche Weiterentwicklung durchlebt seit dem ersten Entwurf, der nur die Brandlastberechnung auf der Basis der DIN 18230 umfasste. (Quelle: yamabon auf Pixabay)

Planung | Ausführung 2025-01-15T11:46:52.733Z „Die Industriebaurichtlinie hat eine deutliche Weiterentwicklung durchlebt“

Im Gespräch mit Michael Hamacher, Geschäftsführer bei HAMACHER – Ingenieur- und Sachverständigenbüro für Brandschutz

Michael Hamacher ist Geschäftsführer bei HAMACHER – Ingenieur- und Sachverständigenbüro für Brandschutz in Mönchengladbach und mit seinem Team schwerpunktmäßig im Brandschutz für Industrie- und Logistikbauten tätig. Wir haben mit ihm über Historie und Entwicklung der Industriebaurichtlinie sowie aktuelle Trends im Industriebau gesprochen.

Hallo Herr Hamacher, lassen Sie uns mit einem Blick auf die Branche anfangen. Die Baubranche befindet sich derzeit noch in einer Krise. Es wird wenig neu gebaut, vor allem im Wohnungsbau. Wie sieht es im Industriebau aus: Laufen die Projekte, oder führen wir heute ein akademisches Gespräch?

Michael Hamacher: Glücklicherweise nicht! Tatsächlich spüren wir die Delle im Wohnungsbau sehr deutlich, aber beim Industriebau wird noch einiges gebaut, gerade im Logistikbereich. Viel zu bearbeiten haben wir derzeit auch, was das Thema alternative Energien und Batterieproduktion anbelangt.

Zu Beginn erst einmal die Frage: Was ist die Definition eines Industriebaus?

Grundsätzlich sind Industriebauten dadurch gekennzeichnet, dass es sich um Gewerbebauten handelt, die in ihrer primären Nutzung der Produktion und Lagerung dienen. Natürlich gibt es auch untergeordnet Bürobereiche, z. B. Meisterbüros, die aber immer mit der Industrienutzung im Zusammenhang stehen. Der Fokus muss im überwiegend auf einer Produktions- und Lagernutzung liegen.

Wir haben in Deutschland eine Muster-Industriebaurichtlinie, die in den meisten Bundesländern unverändert eingeführt wurde. Warum hat sich der Gesetzgeber entschlossen, dass es für solche Industriebauten eine eigene Richtlinie braucht?

Die Ursprünge kommen aus der Fahrzeugindustrie, dort zeigte sich zuerst der Bedarf. Sie kennen sicherlich das Beispiel VW in Wolfsburg: Das sind riesige Werke. Dort haben Sie große Produktionsstraßen und Fließbänder – das bekommt man mit Brandwänden eigentlich nicht sinnvoll hin, wenn nach der reinen Lehre der Landesbauordnungen alle 40 Meter eine Brandwand gesetzt werden müsste. Das würde eine Fahrzeugproduktion komplett stören.

Man erkannte seinerzeit, dass es nicht der richtige Weg ist, all dies über Abweichungen zu lösen und hat als Mittel der Wahl die Industriebaurichtlinie in der ersten Version herausgebracht. Es stand dabei fest, dass Industriebauten der Fahrzeugindustrie, die primär zu beurteilen waren, ein anderes Risiko als die meisten Sonderbauten hatten. Begründet wurde das mit einer niedrigen Brandlast, da die Karossen überwiegend aus Blech bestanden. Das geringe Brandentstehungspotenzial wurde in den Landesbauordnungen nicht ausreichend gewürdigt.

Das Ganze basierte damals auf einer reinen Brandlastberechnung. Das Risiko wurde rechnerisch bewertet, indem zuerst die Brandlast bewertet wurde, die im Gebäude vorhanden ist, und dann bestimmt wurde, wie lange es in dem Gebäude durchschnittlich äquivalent brennen kann. Das ist zwar ein gemittelter Wert, aber im Prinzip kann man damit bestimmen, wie lange es eine Temperatureinwirkung auf das Tragwerk gibt. So konnte zum einen das damals noch deutlich günstigere Stahltragwerk gerechtfertigt werden, und gleichzeitig konnten auch größere Brandabschnitte begründet werden.

Podcast: FeuerTrutz On Air

Das Interview mit Michael Hamacher ist ein Auszug aus dem Gespräch der ersten Folge des neuen Podcasts FeuerTrutz On Air, der im Dezember 2024 gestartet ist.

Moderiert von André Gesellchen, Chefredakteur von FeuerTrutz, bietet der Podcast fundierte Einblicke in aktuelle Themen und Herausforderungen der Branche. Die erste Folge mit dem Gast Michael Hamacher widmet sich dem Thema „Herausforderungen beim Brandschutz im Industriebau“ und kann auf allen gängigen Streaming-Plattformen sowie online abgerufen werden.

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Mittlerweile haben wir eine Industriebaurichtlinie mit Stand 2019. Ist diese für Sie als Planer ein gutes Instrumentarium?

Ja, sie ist hervorragend zu nutzen, zumal sie eine deutliche Weiterentwicklung durchlebt hat seit dem ersten Entwurf, der nur die Brandlastberechnung auf der Basis der DIN 18230 umfasste. Man muss aber dazu sagen, dass wegen der damals noch nicht so verbreiteten Kenntnis bei Brandschützern in diesem Bereich einige an der Industriebaurichtlinie gescheitert sind, wenn sie sich nicht intensiv damit befasst haben. Das Ziel war es, ein besseres Verfahren einzuführen, mit dem nicht nur Spezialisten arbeiten können, sondern auch diejenigen, die sich nur ab und zu mit Industriebauten befassen. Zudem hat man festgestellt, dass es nicht nur um die Großindustrie geht, sondern dass der Industriebau theoretisch bei jeder Halle anfängt, die man in Stahl bauen möchte, sobald dies mit der Landesbauordnung nicht mehr abbildbar ist. Wir reden von Hallen ab 1.600 m2 aufwärts. Insofern war der Bedarf vorhanden, eine Anpassung vorzunehmen.

In einer der ersten Novellierungen hat man dazu das Pauschalverfahren eingeführt. Die Industriebaurichtlinie, wie wir sie heute kennen, kennt zwei grundsätzliche Wege. Der eine ist nach wie vor die Brandlastberechnung, der sogenannte Abschnitt 7, und der zweite das Verfahren im pauschalen Nachweis. Dabei muss der Brandschutzsachverständige keine Brandlastberechnung durchführen, sondern kann auf eine Tabelle zurückgreifen. Dies ist dann das Verfahren nach Abschnitt 6. Dort kann je nach den Anforderungen abgelesen werden, was sich brandschutztechnisch realisieren lässt. Es ist dann z. B. festgelegt, in Abhängigkeit von der Geschossigkeit und der Brandschutzinfrastruktur, wie groß ein Brandabschnitt werden darf und welche Anforderungen an das Tragwerk bestehen.

Das Ganze basiert im Prinzip auf der Brandlastberechnung mit pauschalen Annahmen, die dann je nach der Brandschutzinfrastruktur auch gestaffelt sind. Es kann zunächst komplett ohne irgendwelche Maßnahmen zur Branddetektion eingestiegen werden. Weiterhin kann man eine Brandmeldeanlage kombiniert mit einer Alarmierung planen und kann damit einen größeren Brandabschnitt realisieren. Dann kommt die Werkfeuerwehr in verschiedenen Dimensionierungen zum Zuge. Und schlussendlich gibt es die Sprinkleranlage, die die bestmögliche Infrastruktur darstellt, die man ins Gebäude einbringen kann und in dem Fall die anderen Punkte toppt. Damit lassen sich dann vereinfacht eingeschossige Industriebauten aus Stahl bis 10.000 m2 realisieren.

Gibt es auch Punkte, bei denen die Richtlinie an ihre Grenzen stößt?

Ja. Spätestens dann, wenn Sie mit der Brandlastberechnung nicht mehr hinkommen und auch die Grenzen aus dem Abschnitt 6 überschreiten müssen. Das sind z. B. Großlogistiker, die mit 10.000 m2 Brandabschnitten schlecht umgehen können. Ein weiteres Problem ist dort die Geschossigkeit, denn nach Tabelle 2 sind das immer raumabschließende Decken. Großlogistiker bauen aber häufig mehrgeschossig und haben Förderanlagen, die vertikal funktionieren. Für solche Anlagen gibt es kaum sinnvolle Abschlüsse, insofern muss man da ingenieurmäßig denken und Maßnahmen ergreifen, um diese Anforderungen trotzdem realisieren zu können. An dieser Stelle bewegt man sich aus dem Verfahren nach Abschnitt 6 heraus und kann aufgrund der Brandlasten den Nachweis auch nicht über den Abschnitt 7 führen.

Bleiben wir bei der Logistikbranche mit ihren Herausforderungen beim Brandschutz. Gibt es für Sie als Planer Erfolgsfaktoren, an denen Sie sich orientieren und die Sie anderen als Tipp mitgeben könnten?

Das Sinnvollste ist der richtige Einstieg bei der Anwendung der Industriebaurichtlinie. Zielführend ist es nicht, alles verzweifelt nach Abschnitt 6 nachzuweisen zu wollen und dann alles über Abweichungen deckeln zu müssen. Das kann man machen, wenn man z. B. in einem geringfügigen Maß die Brandabschnittsgröße überschreitet, aber i. d. R. reden wir von deutlich größeren Brandabschnitten. Die Großlogistiker haben teilweise Brandabschnitte mit 50.000 m2, um effektiv und wirtschaftlich arbeiten zu können. Da ist die Industriebaurichtlinie mit den ursprünglichen Verfahren sehr schnell ausgereizt.

Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber aber im Zuge der Weiterentwicklung der Industriebaurichtlinie noch ein weiteres Verfahren eingeführt. Die Verfahren sind in dem Kapitel 4 der Industriebaurichtlinie festgeschrieben. Kapitel 4.1 enthält die Pauschalberechnung nach Abschnitt 6, die eben schon genannt wurden. Kapitel 4.2 enthält die Brandlastberechnung nach dem Abschnitt 7 und Kapitel 4.3 Methoden des Brandschutzingenieurwesens. Das Ganze basiert dann auf einem Nachweis, der im Rahmen der DIN 18009-1 geführt wird. Dort kommt klassisch ein Simulationsverfahren zum Zuge – es kann aber auch ein argumentativer Nachweis sein.

Ein solcher Nachweis muss dann aber tatsächlich auch sinnvoll argumentiert sein: Das pure Behaupten, dass z. B. bei größeren Brandabschnitten das Risiko gleich ist, führt natürlich nicht zum Ziel. Argumentativ heißt, dass man eine Begründung erbringen kann, über entsprechende Quellen, über Versuche, die durchgeführt wurden, oder eben über eine Simulation.

Nehmen Sie bei der Genehmigung Unterschiede wahr, funktioniert eine Simulation eventuell besser, oder lässt sich das so pauschal nicht sagen?

Grundsätzlich hängt es auch davon ab, wer mein Gegenüber ist und das Brandschutzkonzept prüft. Wenn ich mich im festen Rahmen der Industriebaurichtlinie bewege, ist alles einfach nachvollziehbar. In dem Moment, in dem ich argumentativ unterwegs bin, geht es darum, mein Gegenüber zu überzeugen, dass die Annahmen richtig und vertretbar sind. Es darf nicht so enden, dass es wie auf dem Basar zugeht, sondern es muss nachvollziehbar sein. Daher ist es immer angeraten, dass man das Ganze mit entsprechenden, nachvollziehbaren Nachweisen füttert. Hervorragend sind dabei immer Realbrandversuche, oder man kann Vergleichsbrände heranziehen. Wenn man weiß, wie ein Brandereignis abgelaufen ist, kann man daraus Erkenntnisse ziehen, z. B. wenn es um neue Technologien wie Lithium-Ionen-Lagerung geht.

Die Simulation ist dabei ebenfalls ein gutes Mittel, sei es für eine Personenstromanalyse oder eine Brandsimulation mit verschiedenen Zielen. Ich kann damit z. B. nachweisen, dass das Tragwerk über die angestrebte Zeit nicht kollabiert und ausreichend dimensioniert ist. Ein Anwendungsfall kann auch der Nachweis sein, wie sich Rauch verhält: Ab Raumgrößen über 200 m2 gibt es Anforderungen zur Rauchableitung, die waren früher normativ in der DIN 18232-5 festgelegt. Das Ganze ist in der Industriebaurichtlinie, auf dieser Norm basierend, vereinfacht worden. Mit einer Simulation kann ich nun den Nachweis führen, wie hoch bei einem angenommen Brandereignis, das ich aufgrund des Lagerguts und des Risikos erwarte, die raucharme Schicht sein wird – auch mit von der Industriebaurichtlinie abweichenden Rauchabzugsflächen. Zudem kann ich nachweisen, wie stark die Trübung sein wird. Das wird sich bei einem realen Brand zwar immer etwas anders verhalten, aber zumindest nah an der Simulation, wenn sie richtig durchgeführt wurde. Die Simulation kann z. B. bei der Frage helfen, ob die Feuerwehr sich sicher in ein Gebäude bewegen kann und ob verlängerte Rettungswege funktionieren.

Das Risiko bei Simulationen ist immer der, der sie macht: Man muss bei einer Simulation die Eingangsparameter bestimmen und kann diese dabei so herunterschrauben, dass sie unrealistisch sind – z. B. Brandlasten annehmen, die nichts mit der Realität zu tun haben. Aber auch bei der Simulation selbst gibt es viele Stellräder. Wenn Sie z. B. mit Zellen arbeiten, ist es ganz entscheidend, wie groß die Zelle ist. Wenn sie zu groß dimensioniert ist, verzerrt dies die Ergebnisse. Es muss also derjenige, der die Simulation durchführt, wissen, was er tut.

Dabei wird also viel Know-how vorausgesetzt. Wird bei der Prüfung solcher Simulationen dann nur noch auf die Ergebnisse geschaut oder werden auch die Berechnung und die Eingangsparameter geprüft?

Tatsächlich erleben wir in der Praxis immer wieder, dass versucht wird, das Ergebnis ausschließlich mit einem Video darzustellen. Das hat etwas von Verkaufsfernsehen: Man versucht den anderen mit schönen Bildern und Filmen zu überzeugen. Das Ganze fängt eigentlich viel früher an. Derjenige, der das Brandschutzkonzept und damit auch die Simulation prüft, muss vor der Simulation die Eingangsparameter gesehen haben – sie sind mit dem Prüfer abzustimmen. Es gehört dann zu einer gewissenhaften Prüfung, dass man sich die Simulation genau anschaut: Wurden die Parameter, die man vorher abgestimmt hat, eingehalten? Wie wurde die Simulation gefahren, und sind die Zellgrößen realistisch und geeignet?

Wir haben über Planung und Prüfung gesprochen. Beim Industriebau kommt aber typischerweise noch ein Player dazu: der Versicherer. Nicht selten hat dieser noch weiter reichende Anforderungen, weil für ihn der Sachschutz in so einem Gebäude einen hohen Stellenwert hat. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit, und was raten Sie, damit solche Anforderungen nicht spät im Projekt auftauchen?

Da erleben wir tatsächlich einen Wandel über die letzten Jahre. Früher war es so, dass der Versicherer im Nachgang das Brandschutzkonzept zur Verfügung gestellt bekam und meist zähneknirschend hinnahm – Nachforderungen gab es relativ selten. Heute ist das so, dass der Versicherer sehr stark daran interessiert ist, das Brandschutzkonzept zu sehen, bevor es eingereicht wird, um Einfluss nehmen zu können. Die Versicherer kämpfen am Markt auch damit, dass sie immer mehr leisten müssen – nicht weil die Brandereignisse mehr werden, sondern weil die Gebäude entsprechend teurer werden und daher auch jedes einzelne Brandereignis teurer wird.

Versicherer sind inzwischen sehr gut aufgestellt mit eigenen Brandschutzingenieuren und gehen viel tiefgründiger an das Thema heran, z. B. bei der Brandabschnittsbildung. Wo früher Kompromisse gemacht wurden, hat der Versicherer heute ganz klare Anforderungen an eine Brandwand. Er geht davon aus, dass der Worst Case der Verlust eines Brandabschnitts ist. Hat dabei etwas nicht den Bedingungen des Versicherers entsprochen, kann es sein, dass der Betreiber den Schaden nur teilweise erstattet bekommt. Insofern sind Bauherren daran interessiert, den Versicherer frühzeitig einzubinden, damit eventuelle Schäden umfassend ersetzt werden. Wir wissen alle: Wenn ein Betrieb abgebrannt ist, besteht nur eine 30%ige Chance, den Betrieb fortzuführen. Wenn dann der Versicherer nur teilweise Ersatz leistet, sinkt diese Chance signifikant.

Wann ist typischerweise der Punkt, an dem Sie das erste Mal mit der Versicherung sprechen?

Das sollte spätestens in der Leistungsphase 3 erfolgen. Denn wenn der Versicherer Anforderungen stellt, die eine Umplanung erfordern, kostet das Zeit und Geld. Der Versicherer gehört immer früh mit an den Tisch, und die dann gestellten Anforderungen sind oft auch durchaus berechtigt.

Lassen Sie uns noch über das Thema Bestand sprechen. Industriebauten bleiben selten über Jahrzehnte unverändert: Die Geräte in ihnen ändern sich, das Lagergut wird ein anderes, oder es wird sogar die Nutzungsart geändert. Wie stellt man sicher, dass das Brandschutzkonzept da mithält?

Zum einen haben wir immer ein Problem, wenn die Industriebaurichtlinie fortgeschrieben wird: Man muss sehen, ob das Konzept noch in die dann geltende Industriebaurichtlinie passt. Es gibt aber auch Bestandsbauten, die errichtet worden sind, bevor es die Industriebaurichtlinie gab, und die sind eine Herausforderung. Das waren damals Gebäude geringer Höhe mit entsprechenden Grundanforderungen, dass z. B. eine Brandwand als Gebäudeabschlusswand nicht über Dach gehen musste, sondern nur bis unter die Dachhaut, während heute die Industriebaurichtlinie die klare Vorgabe macht, dass die Brandwand einen halben Meter über die Dachhaut zu führen ist. So etwas kann im Bestand nur sehr schlecht nachgerüstet werden und ist somit zu bewerten. Kann man mit Verweis auf die genehmigte Bestandssituation das Ganze noch tolerieren? Ist das Risiko vergleichbar, oder gibt es ein Anpassungsverlangen her?

Wenn es Industriebauten sind, die bereits nach dem Pauschalverfahren nach Abschnitt 6 beurteilt worden sind, passt es meist. Bei normalem Lagergut, Gefahrstoffe ausgenommen, kann der Betreiber das Lagergut ändern, wenn pauschal nach Abschnitt 6 geplant wurde. Wenn jedoch das Verfahren nach Abschnitt 7 zur Brandlastberechnung genutzt wurde, ist es die Pflicht des Betreibers, bei jeder Veränderung der Brandlast eine Nachberechnung durchzuführen und entsprechend das Brandschutzkonzept fortzuschreiben. An dieser Stelle sind dann die Betreiber und die qualifizierten Brandschutzbeauftragten gefragt.

Welches war für Sie das spannendste Projekt im Zusammenhang mit Industriebauten?

Die große Herausforderung ist gerade die Batterieproduktion für die Fahrzeugindustrie. Dabei kommen gleich mehrere Faktoren zusammen: Zum einen ist aufgrund der Produktionsprozesse eine Brandabschnittsgröße von 10.000 m2 nur schlecht einzuhalten. Um Produktionsprozesse nicht zu stören, braucht man dort größere Brandabschnitte. Es besteht also die Herausforderung, große Brandabschnitte realisieren zu müssen.

Gleichzeitig haben Sie das Risiko der Batterien, i. d. R. Lithium-Ionen-Batterien, die dort hergestellt werden. Es fängt an bei der Herstellung der Kathode und der Anode, die dann zu einzelnen Zellen produziert werden, bis hin zum fertigen Akku. Das Risiko bei diesem Prozess besteht im Moment der ersten Befüllung und der ersten Aufladung. An dieser Stelle haben Sie ein hohes Risiko, dass ein Brandereignis entsteht. Dieses Risiko ist auch nicht vermeidbar, weil immer mal eine fehlerhafte Zelle dabei ist. Dafür müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

Wenn Sie einen Wunsch an die Projektgruppe, die die Industriebaurichtlinie weiterentwickeln wird, frei hätten: Welcher wäre das?

Ganz klar ginge es da um das Thema notwendige Flure. In den Landesbauordnungen ist festgelegt, dass Flure, über die Rettungswege von Aufenthaltsräumen geführt werden, so zu gestalten sind, dass es notwendige Flure im baurechtlichen Sinne sind. Erleichterungen, wenn Sie keine notwendigen Flure brauchen, gibt es für Büro- und Verwaltungsflächen, für die Gebäudeklassen 1 und 2 – der Industriebau ist da nicht erwähnt. Gleichzeitig steht in der Muster-Industriebaurichtlinie, dass zum Rettungswegsystem eines Industriebaus notwendige Flure gehören. Darüber hinaus finden Sie in der Industriebaurichtlinie keine weiteren Aussagen zum notwendigen Flur. Es gibt lediglich für die Anforderungen an die eingestellten Räume im Passus zu den Rettungswegen die Anforderung, dass sie eine Sichtverbindung brauchen, mit dem Hinweis in der Erläuterung, dass Sie damit auch notwendige Flure kompensieren. Eine konkrete Regelung ist aber nicht enthalten, was im Umkehrschluss heißt, sehr formell gesehen, dass jeder Flur im Industriebau, bei dem diese Regelung mit der Sichtverbindung für die eingestellten Räume nicht greift, automatisch ein notwendiger Flur sein müsste. Das ist im Industriebau kaum herstellbar. Diese fehlende Abgrenzung sorgt dafür, dass in der puren Theorie jeder kleine Flurabschnitt, über den Rettungswege geführt werden, formell erst einmal ein notwendiger Flur sein müsste.

Glücklicherweise sehen die Sachverständigen und die Behördenvertreter das nicht so, sondern wirklich nur, wenn Sie den klassischen Fluchttunnel haben, wird es als ein notwendiger Flur bewertet. Da wünsche ich mir eine bessere Abgrenzung, vielleicht auch eine Aussage in der Erläuterung, die noch mal klarstellt, wann und wie notwendige Flug im Industriebau nötig sind und unter welchen Voraussetzungen sie definitiv nicht nötig sind.

Herr Hamacher, vielen Dank für das Interview!

zuletzt editiert am 15. Januar 2025