Verfasser von Brandschutzkonzepten sehen sich mit immer umfassenderen Anforderungen konfrontiert, die oft deutlich über die Schutzziele der Landesbauordnungen (LBO) hinausgehen. Der Versuch, diese zum Teil widersprüchlichen Anforderungen zu erfüllen, führt nicht selten zu unwirtschaftlichen Lösungen. Die Folge: Häufig resignieren Bauwillige und geben ihre Bauvorhaben auf.
In der Serie "Mythen des Brandschutzes" betrachten die Autoren im Wechsel unterschiedliche Aspekte, um vorhandene rechtliche Möglichkeiten und Zuständigkeiten richtig auszulegen, zu interpretieren und Verständnis für die jeweils andere Haltung zu wecken. Dieser Beitrag befasst sich mit dem Mythos "Ausschluss jeden Risikos".

Immer weiter gehende Anforderungen im Brandschutz führen zu steigenden Aufwendungen, oft jedoch ohne erkennbaren Gewinn. Und die Bauherren stellen Fragen wie: "Sind alle Maßnahmen für die Erteilung einer Baugenehmigung gleichermaßen notwendig?" oder "Welcher Gewinn (Kosten-Nutzen-Relation an Sicherheit) ergibt sich aus der jeweiligen Maßnahme?"
Solche Fragen sind berechtigt, da es doch neben der gebotenen werkvertraglich geschuldeten Pflicht zur Wirtschaftlichkeit auch um einen ressourcenschonenden Umgang mit den eingesetzten Mitteln geht. Auf der Suche nach belastbaren Entscheidungskriterien stellte sich jedoch heraus, dass unterschiedliche Interessengruppen von sehr verschiedenen Prämissen ausgehen.
Diese Prämissen führen wiederum zu unterschiedlichen Maßstäben, die sich mitunter sogar widersprechen:
- verifizierbare Erkenntnisse (Wissenschaft)
- Personenschutz (Landesbauordnungen)
- Sachschutz (Versicherungen)
- das pflichtgemäße Ermessen
- weitergehende Anforderungen (Feuerwehr)
- weitergehende Anforderungen (Normen)
- weitergehende Anforderungen (Arbeitsschutz)

Während sich die ersten drei Bereiche einem offenen wissenschaftlichen Diskurs nach validierbaren Kriterien stellen, entziehen sich die letztgenannten diesem relativ effektiv. Beim pflichtgemäßen Ermessen ist die gebotene Verhältnismäßigkeit insbesondere dann nicht gegeben, wenn das Schutzziel, "jegliches Risiko auszuschließen", verfolgt wird (siehe Abb. 2). Das kommt dem Mythos eines Unsterblichkeitsversprechens gleich.
Im Folgenden werden die genannten Bereiche näher erläutert.
Wissenschaft und Politik: das rechte Maß
Auf der Grundlage wissenschaftlich verifizierbarer Erkenntnisse definieren demokratisch legitimierte Gesetzgeber über die Landesbauordnungen (LBO) das gesellschaftlich akzeptierte Restlebensrisiko durch Festlegung von (hauptsächlich) Personenschutzzielen (siehe Abb. 3). Dies ist eine Erfolgsgeschichte, wie ein Blick in die Statistik zeigt: In Deutschland ertrinken Personen eher (ca. 600 p.a.), als dass sie verbrennen (ca. 350 p.a.). Von den Todeszahlen im Straßenverkehr ganz zu schweigen (ca. 4.300 p.a.). Daher sind Gebäude – erst recht unter Berücksichtigung der Verweildauer – die denkbar sichersten Aufenthaltsbereiche. Darüber hinaus fließen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse über statistisch relevante Schadensfälle (z.B. Heimrauchmelder) fortlaufend in die LBOs ein.

Ausübung des gesetzlichen Ermessens
Zur Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und reiner Möglichkeit steht der Genehmigungsbehörde für ihr pflichtgemäßes Ermessen ein relativ schmales Band zur Verfügung, das sich an dem Verhältnismäßigkeitsprinzip orientiert. Damit soll vermieden werden, dass Bauherren durch ein Übermaß an Forderungen regelrecht stranguliert werden (siehe Abb. 4). So ist nach der "allgemeinen Schranke der Grundrechtsbegrenzung" nur zulässig, was geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist [1], [2]. Darüber hinaus sind nach § 39 (1) VwVfG alle Verwaltungsakte (Auflagen) mit Begründungen zu versehen, die die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist – was oft jedoch nicht erfüllt wird.
Doch oft reduzieren Angstzuschläge, um "jegliche Risiken auszuschließen", den Ermessensspielraum auf null. Das führt dazu, dass immer mehr Aufwand für immer weniger Wirkung gefordert wird (siehe Abb. 4). Solche vom Gesetzgeber nicht gewollten Übertreibungen lassen sich jedoch innerhalb zeitkritischer Bauantragsverfahren kaum lösen.

Sachschutz (Versicherungen)
Daneben stehen Belange des Sachschutzes. So kann es für die Betreiber gute Gründe geben (z.B. wertvolle Güter, Vermeidung von langen Betriebsunterbrechungen, Einsparung von Versicherungsprämien), über das Baurecht hinaus in weitere Maßnahmen zu investieren (siehe Abb. 5). Die Industrie entwickelt dazu immer neue technische Möglichkeiten, und jeder Bauherr kann sich leicht ausrechnen, ab wann sich z.B. eine Brandmeldeanlage, deren Komponenten nach Normenvorgabe alle acht Jahre ausgetauscht werden müssen, bei 4 bis 5 % Nachlass auf die Versicherungsprämie amortisiert, und auf dieser Grundlage eine fundierte Entscheidung für sein persönlich definiertes Schutzziel treffen.

Weitergehende Anforderungen (Feuerwehr)
Neben lösungsorientierten Beratungen findet sich in vielen Stellungnahmen von Brandschutzdienststellen eine grundlegende Skepsis gegenüber den gesetzlich definierten Schutzzielen, um – nach Definition eigener Schutzziele – über Bedenken weitergehende Anforderungen (Wünsche) einzubringen. Diese Vorgehensweise ist verwunderlich, da doch Brandschutzverbände im Rahmen der Gesetzgebung angehört werden, auch wenn nicht jeder Wunsch die erforderliche Mehrheit fand (siehe Abb. 6).
So stoßen Feuerwehren seither selbst im vereinfachten Verfahren unter der Prämisse, die Rettung aller Personen ausschließlich über Leitern zu "garantieren", permanent an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Es entsteht – quasi durch die Hintertür – eine große Zahl an Außentreppen, auch dort, wo diese aus dem Baurecht nicht zwingend herzuleiten wären. Dabei fordert der Gesetzgeber (außer bei Sonderbauten mit explizit zwei baulichen Rettungswegen) lediglich die "Möglichkeit" der Rettung über Geräte der Feuerwehr [3].

Wunsch wird Verwaltungshandeln
Relevanz erlangen zuvor genannte Wünsche, wenn diese ungeprüft nach dem Copy-and-Paste-Prinzip als Auflagen in Baugenehmigungen übernommen werden, oftmals mit der Begründung, dass diese von der unteren Bauaufsicht nicht bewertet werden könnten bzw. wenn Bauanträge so lange als "nicht prüffähig" zurückgesandt werden, bis der Antragsteller die Anforderungen der Feuerwehr selbst beantragt und damit auf jedes Recht des Widerspruchs verzichtet [4]. So haben Bauherren und Planer innerhalb zeitkritischer Bauantragsverfahren kaum eine Chance, selbst offensichtlich überzogene Maßnahmen zu klären. Insbesondere dann nicht, wenn Behörden ihre starke Position ausnutzen, um auf Zeit zu spielen. Dabei bleiben selbst wiederkehrende Standardfragen über Jahre ungeklärt, inhaltliche Diskurse finden kaum noch statt. Dabei stehen die genannten Handhabungen in offensichtlicher Diskrepanz zu den Bestrebungen zur Deregulierung (mit immer weiter reichender Verantwortung von Planer und Bauherr), um durch die Hintertür "weitergehende Anforderungen" in tausend zermürbenden Einzelfällen einzufordern. Das führt eo ipso zu einer Rechtsfortbildung des codierten Rechtsbereichs der NBauO, was contra legem steht bzw. mit den LBO nicht zu vereinbaren und somit unzulässig ist.
Weiterführende Anforderungen (Normen)
Auch auf Normenseite steigen die Anforderungen in bislang nicht gekanntem Maße. So werden immer mehr technische Möglichkeiten über die Definition neuer Anwendungsbereiche mit dem Etikett, eine allgemein anerkannte Regel der Technik (a.a.R.d.T.) zu sein, versehen, und das ohne Beleg für deren zwingende Notwendigkeit oder tatsächliche Anerkennung – mit enormen Auswirkungen (siehe Abb. 7). Denn entgegen den in LBOs definierten hinnehmbaren Risiken vertreten auch Normenausschüsse Partialinteressen, oft mit der Prämisse der Risikovermeidung, selbst wenn diese Normen miteinander konkurrieren. Dieser Logik folgend rückt nun auch "der Fachplaner, neben dem Elektroplaner [...] als zentraler Faktor der Wertschöpfungskette [...] immer mehr in den Fokus der Entwicklungen" [5]. Bezögen sich derlei Verbesserungen allein auf den Sachschutz, wäre gegen neue technische Möglichkeiten nichts einzuwenden und auch als Kompensation wären diese stets herzlich willkommen. Durch die Definition von Anwendungsbereichen zum "Standard" (z.B. Brandschutzschalter) entfallen jedoch solche Anwendungsmöglichkeiten.

Daher stellt sich die Frage nach der zugrunde liegenden Legitimation, weitergehende Anwendungsbereiche in Normen festzuschreiben. Dass für diese Anwendungsbereiche Mehrheiten in den Normenausschüssen gefunden wurden, darf unterstellt werden. Ob dies auch die herrschende Ansicht der Fachleute, somit eine a.a.R.d.T darstellt, wäre z.B. in Umfragen zu verifizieren. Die in Symposien abgefragten Meinungsbilder lassen Zweifel daran aufkommen. Unabdingbar für eine solche Anerkennung sind vor allem die Offenlegung der zugrunde liegenden Prämissen mit Darlegung der statistisch relevanten Fälle und eine Kosten-Nutzen-Gegenüberstellung (gemessen an bisherigen technischen Möglichkeiten). Nur solche Belege könnten eine Verschärfung über das Sicherheitsniveau der LBOs hinaus rechtfertigten. Diese liegen in dieser Form jedoch nicht vor. Solche Belege wären schon dafür erforderlich, um über Risikoanalysen bewerten zu können, ob die angenommenen Schadenszenarien auf den zu bewertenden Einzelfall anzuwenden sind. Schließlich lassen sich kaum Empfehlungen geben, wenn deren Grundlagen nicht klar sind. Das Mantra "was gut für den Sachschutz ist, ist auch gut für Personenschutz" greift zu kurz.
Weiterführende Anforderungen (Arbeitsschutz)
Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) geben den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und -hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse für das Einrichten und den Betrieb von Arbeitsstätten wieder (siehe Abb. 8).
Die Formulierung "Stand der Technik" ist hier nur grundsätzlich anzuwenden, da für das gemeine Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten vor allem die allgemein anerkannten Regeln der Technik – also Regeln, die sich auch in der Praxis als geeignet erwiesen haben – anzuwenden sind (vgl. § 2 Abs. 11 ArbStättV – "mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind"). Dazu gibt es zwei Ausnahmen:
- Ein Vorbehalt sieht zur Genehmigung und Aufbewahrung von spaltbaren Stoffen nach dem Atomgesetz (ATG) vor, Maßnahmen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu treffen, damit Schäden und sonstige Einwirkungen auf die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verhindert werden. Die Erfüllung internationaler Verpflichtungen ist zu gewährleisten.
- Ferner wird im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) formuliert, dass " schädliche Umwelteinwirkungen […] zu vermeiden" sind. Im Sinne dieses Gesetzes sind das Immissionen, die nach Art und Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder Nachbarschaft herbeizuführen. Bei der Bestimmung des " Standes der Technik" sind insbesondere die in der Anlage aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen (Anlage zu § 3 Abs. 6 Nr. 1 – 13 BImSchG, die Auflistung ist nicht abschließend).
Die ATG und das BImSchG stellen somit höherrangige Anforderungen dar. Deshalb gilt für diese Anlagen die Vorsorge nach dem "Stand der Wissenschaft und Technik". In den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) finden wir im Sinne einer begründeten Notwendigkeit dazu keine anzuwendenden Maßstäbe. Vorgaben finden sich jedoch in der Richtlinie EWG 89/654 des Rates über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten, z.B. als Forderung: "Türen von Notausgängen müssen nach außen öffnen". Aus genannten Gründen ist es jedoch mehr als fraglich, ob etwa Türaufschlagrichtungen oder Flurbreiten, die nach sämtlichen LBO als zulässig erachtet werden (z.B. für denkbar sicherste Büro- und Verwaltungsnutzung), nach ASR in annähernd gleicher Weise wie ein Atomkraftwerk behandelt werden müssten, da diese konkrete Gefährdungen darstellten.
Insofern wäre es zielführend, einen wissenschaftlichen Diskurs über Sinn und Zweck dieser Maßnahmen einzuleiten, der zu einer Harmonisierung der Anforderungen des Arbeitsstättenrechts und des Bauordnungsrechts beiträgt.

Fazit
Wie dargelegt, führen unterschiedliche Prämissen innerhalb der geschlossenen Systeme zu unterschiedlichen Anforderungen. Diese müssen sich jedoch alle am rechten Maß, d.h. an den Schutzzielen der LBOs, messen lassen können. Eine solche Abwägung findet jedoch innerhalb zeitkritischer Bauantragsverfahren oft nicht statt, denn die Lage ist verzwickt: Auf der einen Seite stehen immer weitergehende Anforderungen und Wünsche, ohne dass fordernde Institutionen oder Personen für diese je zur Haftung gezogen werden könnten. Auf der anderen Seite befinden sich die Bauherren, oft stehengelassen im Regen. Sie müssen immer wieder aufs Neue und in z.T. mehrjährigen Verfahren beweisen, warum die Anforderungen bzw. Wünsche in ihrem Fall eben nicht erforderlich sind. Mit Aussicht auf die Länge des Prozesses schlucken sie oft eine Kröte nach der anderen, wäre ein Klageverfahren für viele Projekte doch das sichere existenzielle Aus. Und dazwischen stehen wir Sachverständige, bestrebt, die Sicherheit sowie die Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen, nach dem Motto "so viel wie nötig, so wenig wie möglich". Und das aus gutem Grund, da wir doch gemäß BGH-Entscheidung bei unkritischer Übernahme überzogener Anforderungen von Behörden zur Haftung gezogen werden können [6]. Wenig hilfreich sind auch Rechtsprechungen, in denen lediglich formal geprüft wurde, ob z.B. Normen eingehalten wurden oder nicht (unter der Prämisse, dass es sich um eine anzuwendende a.a.R.d.T handelt). Oft verfestigen diese jedoch nur die Irrtümer der Vergangenheit.
Auf der Suche nach dem rechten Maß wurde 2017 die AG Brandschutz im Dialog gegründet, um – außerhalb zeitkritischer Bauantragsverfahren – Prämissen, Zuständigkeiten und Mythen des Brandschutzes kritisch zu hinterfragen und einem öffentlichen Diskurs zuzuführen mit dem Ziel, gemeinsam tragfähige und verhältnismäßige Lösungen zu erarbeiten.
Der Artikel ist in Ausgabe 2.2021 des FeuerTrutz Magazins (März 2021) erschienen.
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Literatur / Quellen
[1] Klaus Grupp und Ulrich Stelkens, "Hinweis zur Prüfung und zum Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips – Übermaßverbot" (2013); www.saarheim.de/Anmerkungen/verhaeltnismaessigkeit.htm
[2] Ralf Abraham, "Zum anzuwendenden Maßstab, Zuständigkeit und Bypassverfahren", Vortrag auf der Expertenanhörung vor dem Bauausschuss der Landeshauptstadt Hannover (15.05.2019); www.brandschutz-im-dialog.com
[3] Antwort der ARGEBAU zu "Möglichkeiten der Personenrettung über Rettungsgeräte der Feuerwehr" (20.03.2017), www.brandschutz-im-dialog.com
[4] Ralf Abraham, Dr. Till Fischer, Deutsches Architektenblatt 07/2019 Niedersachsen, "Außentreppen vs. Rettungsgeräte der Feuerwehr als zweiter Rettungsweg"
[5] FeuerTrutz Spezial Sicherheitssysteme 2016, Technischer Brandschutz ist Wachtumstreiber
[6] BGH setzt Maßstab: Unwirtschaftliche Brandschutzplanung führt zu Schadensersatz-Entscheidung (15.11.2012-UZ)
[7] Stefan Polónyi, DBZ 02/2020, "Der Beton und seine zweckmäßige Armierung"