Mit der DIN 18009-2 zu Räumungsberechnungen können ingenieurtechnische Nachweise standardisiert erstellt werden. Die Norm beschreibt verschiedene Berechnungsmethoden, doch welche ist die richtige und wie gehe ich dabei am besten vor?
Um den Brandschutz zu gewährleisten, Abweichungen zu bewerten und Gebäude in Bezug auf Personensicherheit zu optimieren, können ingenieurtechnische Verfahren helfen – sowohl im Neubau als auch im Bestand. Die DIN 18009-1 beschreibt die Grundlagen der ingenieurtechnischen Verfahren im Brandschutz – damit können Abweichungen von der Norm begründet werden, Gebäude optimiert und Sicherheitsgedanken analysiert werden [1]. Wie in Abbildung 1 schematisch dargestellt, werden für ingenieurtechnische Verfahren zwei Nachweisarten unterschieden. Argumentative Nachweise benennen die Anforderungen und das Schutzziel, beschreiben die Besonderheiten, betrachten die Konsequenzen und bewerten die Sicherheit. Leistungsbezogene Nachweise ergänzen sie, indem sie die Konsequenzen aufzeigen und analysieren: Durch den Einsatz von Personenstrommodellen wie Handrechenverfahren, makroskopischen Betrachtungen und Simulationen werden Konsequenzen der Abweichungen anhand von konkreten Fallbeispielen (Szenarien) abgeschätzt und analysiert.
![(Quelle: In Anlehnung an [1])](/assets/loader/loader-2.png)
Damit die Bewertung der Ergebnisse für den Anwender nachvollziehbar, verlässlich und mit anderen Methoden vergleichbar ist, wird die Normierung der Methoden vorangetrieben – im Rahmen der jetzt veröffentlichten DIN-Norm 18009-2 werden die Berechnungen der Räumung von baulichen Anlagen und deren Beurteilung geregelt [2].
Wie gehe ich bei einer normgerechten Räumungsberechnung vor?
Um das Vorgehen anschaulich zu erklären, wird im Folgenden eine Räumungsberechnung Schritt für Schritt beschrieben.
Schritt 1: Szenariendefinition und Schutzziel = Beurteilungsgrundlagen
Zuerst wird abgestimmt, welche Räumungsfälle möglich und welche Gegebenheiten dabei zu berücksichtigen sind. Anhand der folgenden vier Aspekte werden mögliche Szenarien für das Gebäude ermittelt:
1. Gebäudeart (z.B. Versammlungsstätte, Büro, etc.)
2. Nutzung und Nutzer (z.B. Standardpopulation, Schüler etc.)
3. Räumungsanlass (z.B. Brandereignis, Übung, Fliegerbombenfund etc.)
4. Sicherheitsmaßnahmen (z.B. BMA, Brandschutzhelfer etc.)
Dazu wird ein nachzuweisendes Schutzziel definiert, dieses ist mit der prüfenden bzw. genehmigenden Stelle abzustimmen. In der Norm wird hier die Vorgabe für die maximale Räumungszeit (RSET) in Bezug auf die zur Verfügung stehende Räumungszeit (ASET) gesetzt, in Kombination mit einer ggf. zu erstellenden Stauanalyse. Weitere Schutzziele sind möglich. Wichtig ist dabei zu bestimmen, wie realistisch und kritisch die jeweiligen Szenarien sind. Anhand einer Risikoanalyse können ein oder mehrere Bemessungsszenarien ausgewählt werden: das Bemessungsszenario ist ein relevanter und gleichzeitig ungünstiger Fall – wenn das Schutzziel erreicht wird, kann der Fall als abgesichert gelten.
Schritt 2: Modellauswahl
Um das Szenario zu berechnen und gegen das gewählte Schutzziel zu prüfen, muss ein geeignetes Modell gewählt werden. Die Modelle unterscheiden sich nach ihren Annahmen und Möglichkeiten – deshalb sollen sie nach dem Nachweisziel ausgewählt und die Wahl dokumentiert werden (vgl. [2]). Dabei wird zwischen makroskopischen Modellen, die Menschengruppen als Gesamtes betrachten, und mikroskopischen Modellen unterschieden. Makroskopische Modelle, wie die Kapazitätsanalyse und das dynamische Strömungsmodell, berechnen Personenflüsse als gemittelte Werte über eine Personengruppe – sie sind damit einfacher aufgebaut und es wird keine besondere Software benötigt. Mikroskopische Modelle dagegen betrachten die Personen individuell, sie werden über Simulationssoftware berechnet, die auf raumdiskreten oder raumkontinuierlichen Verfahren beruhen (siehe Abb. 2).

Für die Berechnung von Räumungen stehen also verschiedene Modelle zur Verfügung – sie bilden die Realität unterschiedlich detailliert ab (vgl. [2], s. Tabelle 1). Je nach Bemessungsszenario ist also zu überlegen, was abgebildet werden soll: Für einen Überblick, wie lange die Räumung im Mittel dauert, sind alle Modelle geeignet. Wenn einzelne Personen und individuelle Bewegungen abgebildet werden sollen, sind die Individualmodelle geeignet. Wenn die Personenbewegung in der Geometrie der Rettungswege detailliert abgebildet werden soll, sollten Individualmodelle zum Einsatz kommen.

Die Modelle haben damit auch eine unterschiedliche Aussagefähigkeit, d.h. bei der Auswahl ist abzuwägen, was bzw. welches Schutzziel geprüft werden soll: Eine Einschätzung der Fluchtzeit liefern z.B. alle Modelle. Wenn geprüft werden soll, ob und wo ein Stau entsteht, bieten die Individualmodelle eine bessere Aussagefähigkeit, da sie die unterschiedlichen Kenngrößen zur Beurteilung von Stau besser abbilden können.
Schritt 3: Berechnung und Interpretation
Nach der Modellauswahl erfolgt die Modellierung und Berechnung mit entsprechend DIN-konformer Dokumentation, in der sowohl szenarienbedingte Einstellungen sowie Modellparameter enthalten sein müssen. Zu den szenarienbedingten Einstellungen zählen z.B. Personeneigenschaften, Reaktionszeiten, Fluchtwegwahl, Geometrieabbildungen und der Betrachtungsbereich. Zu den Modellparametern gehören die speziellen Eigenschaften des gewählten Modells, bspw. die Abbildung der Körperumrisse bei Individualmodellen oder die Abbildungen von Treppen oder speziellen Wegelementen. Nun folgt der wichtigste Teil, die Auswertung und Interpretation. Die Ergebnisse werden mit den anfangs definierten Schutzzielen verglichen und in den Kontext des Szenarios eingeordnet. Zur Staubewertung können Größen wie Staudauer, Stauausdehnung, Staugröße herangezogen werden. Eine beispielhafte Staubewertung findet sich in [3]. Werden die Schutzziele bei der Auswertung und Interpretation bestätigt, kann das Vorgehen dokumentiert und als Kompensationsnachweis eingereicht werden. Werden die Schutzziele nicht erreicht, muss nachgebessert und die Berechnung wiederholt werden.

Bewertung der Ergebnisse
Die Ergebnisse einer solchen Analyse müssen in Bezug auf Unsicherheiten bewertet und eingeordnet werden. Unsicherheiten können entstehen:
- bei der Festlegung und Auswahl von Szenarien,
- bei der Auswahl des Modells und der Modellparameter,
- bei der Wahl der Rand- und Anfangsbedingungen (Modell-Eingaben),
- aufgrund von Modellunsicherheiten,
- durch die Auswertung.
Deshalb wird eine Sensitivitätsanalyse empfohlen, bei der Größen wie beispielsweise die Anzahl der Personen im Gebäude, die Reaktionszeiten, die Verteilung der Personen je nach Nutzung im Gebäude oder die Routenwahl variiert werden. Auch ein Einbezug von Brandszenarien ist ggf. nötig. Wenn die Räumungsberechnung mit einem mikroskopischen Modell durchgeführt wurde, kann hier zur Unterstützung der RiMEA Test 8 zu Parameteranalysen herangezogen werden. Zur Bewertung von Unsicherheit und zur Plausibilisierung der Ergebnisse müssen die oben aufgeführten Aspekte beleuchtet und dokumentiert werden. Eine beispielhafte Räumungsberechnung mit einem mikroskopischen, raumkontinuierlichen Modell der Software crowd:it wird in [4] beschrieben.
Fazit
Die Einführung der DIN 18009-2 erhebt ingenieurtechnische Verfahren zur a.a.R.d.T. Damit können Abweichungen von deskriptiven Vorgaben – gerade im Sonder- und Bestandsbau – standardisiert kompensiert und die Sicherheit in Gebäuden erhöht werden. Die Norm erlaubt den Einsatz von sowohl makroskopischen als auch Individualmodellen. Es ist jedoch von Anwendersicht darauf zu achten, dass die Modellwahl einen erheblichen Einfluss auf die Genauigkeit und Unsicherheiten hat. Durch die Normierung werden für die Berechnung und Dokumentation Rahmenbedingungen vorgegeben, die die Ergebnisse verlässlich interpretierbar und prüfbar machen.
Wie ein DIN konformer Nachweis erstellt werden kann, erläutert das Whitepaper unter accu-rate.de/white-paper-din-nachweis
Quellen
[1] BRANDSCHUTZINGENIEURMETHODEN – PRAKTISCHE ANWENDUNG DER DIN 18009, Georg Spennes, BFT Cognos GmbH, Aachen, FeuerTrutz Brandschutzkongress 2018
[2] "DIN 18009-2: Brandschutzingenieurwesen–Teil 2: Räumungssimulation und Personensicherheit", Fassung Januar 2021
[3] Kneidl, A., Simon, S. (2019): Staubewertungmithilfe von Personenstromsimulationen, FeuerTrutz Magazin 5.2019
[4] White Paper: Normgerechte Räumungsberechnungmit Individualmodellen; accu:rate GmbH 2021; Download unter www.accu-rate.de
Der vollständige Artikel ist in Ausgabe 6.2021 des FeuerTrutz Magazins (Dezember 2021) erschienen.