Mit dem Anspruch, die Rettung aller Personen aus brennenden Nutzungseinheiten über Geräte der Feuerwehr zu "garantieren", stoßen Brandschutzdienststellen immer wieder an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und fordern nicht selten das Errichten von Außentreppen – oft über die materiellen Anforderungen der jeweiligen Landesbauordnungen (LBO) hinaus.
In der Serie "Mythen des Brandschutzes" betrachten die Autoren im Wechsel unterschiedliche Aspekte, um vorhandene rechtliche Möglichkeiten und Zuständigkeiten richtig auszulegen, zu interpretieren und Verständnis für die jeweils andere Haltung zu wecken. Dieser Beitrag befasst sich mit der Notwendigkeit von Außentreppen.
Der Referenzfall:
Seit 2000 nutzt die international renommierte Schule für Tanz, Clowns und Theater (TuT) Schulungsräume im 1. OG eines zweigeschossigen Gebäudes der Gebäudeklasse 3 (Abb. 1).

Der erste Rettungsweg erfolgt über einen notwendigen Treppenraum, die Rettung über Geräte der Feuerwehr ist auf ganzer Front möglich. Zur Legalisierung dieser Nutzung (vormalige Nutzung war eine Druckerei) wurde der Eigentümer im Jahr 2012 aufgefordert, einen Bauantrag einzureichen und zur weiteren Abstimmung an die Feuerwehr verwiesen. Diese forderte die Errichtung eines zweiten baulichen Rettungsweges. Da sich eine Außentreppe aus der LBO nicht herleiten ließ, wurde der Antrag (im vereinfachten Verfahren) ohne Beantragung einer solchen eingereicht.
Es folgte ein aktenfüllendes, jahrelanges Hin und Her. Abstimmungsgespräche nach § 25 VwVfG mit dem Bauamt wurden stets mit der Begründung abgelehnt, dass eine solche Vorabstimmung schon durch den vorbeugenden Brandschutz erfolgt sei. „Damals wurde [von der Feuerwehr] sogar die Möglichkeit aufgezeigt, durch […] Ausbildung einer Außentreppe einen genehmigungsfähigen Zustand herzustellen“.
Letztendlich wurde die Genehmigung mit dem Argument „Klar ist, dass die Rettung über Geräte der Feuerwehr nicht so sicher sei, wie der erste Rettungsweg“ [...] abgelehnt. Den beteiligten Sachverständigen erschien eine derartige Argumentation als zu pauschal, da sich hiernach für jede Nutzung zweite bauliche Rettungswege herleiten ließen. Der Bauherr ging in Widerspruch.
Aus nicht bekannten Gründen zog er diesen jedoch im mit Spannung erwarteten Prozess zurück und erklärte sich bereit, die von der Feuerwehr geforderte Außentreppe selbst zu beantragen. Hiermit verzichtete er im „auflagenfreien Verfahren“ (bzw. „Bypass-Verfahren“) auf jegliche weitere Rechtsmittel – kurz darauf wurde die Immobilie verkauft [1], [2], [3].
Wieder einmal blieb eine gute Gelegenheit zur gerichtlichen Klärung dieser Handhabung ungenutzt. Die Frage nach der Notwendigkeit von Außentreppen bleibt uns daher auch weiterhin erhalten.
Fragen an die ARGEBAU: Referenzfall
Zur grundsätzlichen Klärung des vom Gesetzgeber gewollten Schutzziels ging dieser Referenzfall an die Bauministerkonferenz (ARGEBAU) [4], [5].
Die Antworten aus 2016/17 waren erhellend: „Die Schwelle von 100 Personen in Verbindung mit der Bestimmung des § 33 Abs. 3 Satz 2 MBO führt im Umkehrschluss zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich bei Gebäuden mit Räumen für bis zu 100 Personen die Führung des zweiten Rettungsweges über Rettungsgeräte der Feuerwehr zulässig ist“ [6].
„Die Grundanforderung des § 14 MBO – dass im Brandfall die Rettung von Menschen möglich sein muss – ist in der Tat nicht so zu verstehen, dass die erfolgreiche Rettung auch in jedem Einzelfall „garantiert“ sein muss. Die genannte Grundanforderung der MBO stellt ab auf die Beschaffenheit einer baulichen Anlage, nicht auf die Erfolgsgarantie für eine Handlung (hier einer Rettungsaktion). [...] Festzustellen ist aber, dass diese Ermessensausübung Sache der Bauaufsichtsbehörde und nicht der Brandschutzdienststelle ist“ [7].
Ungeachtet dessen fordern einzelne Brandschutzdienststellen (in Niedersachsen schon ab 10 Personen) auch weiterhin die Errichtung von Außentreppen, selbst bei Einhaltung aller materiellen Anforderungen des Baurechts – und die Bauämter folgen dem oft. Daher widmen wir uns nun (außerhalb zeitkritischer Verfahren) den hierbei zugrunde gelegten Prämissen.
Prämissen für die Forderung nach Außentreppen
Die häufigsten Argumente lauten:
- Es erfolgt keine Eigenrettung, da notwendige Treppenräume im Brandfall „verschwinden“.
- Alle Personen warten in der brennenden Nutzungseinheit auf die Feuerwehr.
- Die Rettung aller Personen scheitert daran, dass diese über Geräte der Feuerwehr nicht "garantiert" werden kann.
Allein schon aus der Addition dieser Prämissen folgt quasi automatisch der Schluss, „dass die Rettung über Geräte der Feuerwehr nicht so sicher sei wie der erste Rettungsweg“ – aber wie tragfähig sind diese Annahmen?
Prämisse 1: Eigenrettungen finden nicht statt – Treppenräume verschwinden im Brandfall
Hierzu sind drei Brandereignisse zu unterscheiden:
- Es brennt in der Nutzungseinheit
- Es brennt in einer anderen Nutzungseinheit
- Es brennt im Treppenraum
a) Es brennt in der Nutzungseinheit
Kaum jemand wird bestreiten, dass Personen, welche aus einer brennenden Nutzungseinheit nicht innerhalb weniger Minuten geflohen sind, eine sehr eingeschränkte Überlebenschance haben. Für diese im Brandfall erforderliche Flucht (Eigenrettung) stehen die denkbar sichersten baulichen Rettungswege zur Verfügung. Dass ein solcher notwendiger Treppenraum just in dem Fall „verschwindet“, wenn er benötigt wird, lässt sich aus einem Brandereignis in der betreffenden Nutzungseinheit nicht schlüssig herleiten.
Auch unterstellt sowohl der Gesetzgeber als auch z.B. das Arbeitsstättenrecht stets Eigenrettungen aus brennenden Nutzungseinheiten, sodass hiernach beispielsweise von anfangs X Personen, welche sich in einer brennenden Nutzungseinheit befinden, Y Personen die Möglichkeit (vor dem Eintreffen der Feuerwehr) ergriffen haben, sich z.B. über den notwendigen Treppenraum zu retten. Somit verbleiben Z Personen, welche im Fall der Fälle noch zu retten wären. Durch das (stillschweigende) Setzen der Eigenrettungsrate auf „0“, zuzüglich der Annahme, dass Treppenräume im Brandfall verschwinden, ergeben sich erst die weiter unten beschriebenen Prämissen.
Wenn also Bedenken vorgetragen werden, dass eine solche Eigenrettung nicht rechtzeitig genug erfolgt, wäre eine frühzeitige Branderkennung (durch Sichtverbindungen, Rauchwarnmelder bis zur flächendeckenden BMA, je nach Art der Nutzung und Nutzerkreis) ein deutlich besseres Instrument als ein zweiter baulicher Rettungsweg.
Wie zuvor ausgeführt, ist die frühe Einleitung der Entfluchtung bei einem Feuer innerhalb der Nutzungseinheit von wesentlicher Bedeutung – nicht jedoch allein die Anzahl der baulichen Rettungswege. Die Anordnung weiterer baulicher Rettungswege stellt bei diesem Szenario häufig nur eine Scheinsicherheit dar.
b) Es brennt in einer anderen Nutzungseinheit
Jede Nutzungseinheit ist über Türabschlüsse von notwendigen Treppenräumen abgetrennt, Neubauten durch dicht- und selbstschließende Türen, Sondernutzungen durch klassifizierte Türen. Solange der Treppenraum nicht verraucht ist, ist somit auch eine Eigenrettung über den Treppenraum möglich. Nur soweit die Zugangstür zum notwendigen Treppenraum brandbedingt versagt, wäre der Treppenraum nicht zu benutzten. In diesem Fall wäre die Entfluchtung über einen verrauchten Rettungsweg lebensgefährlich, es wirkt jedoch auch weiterhin das Abschottungsprinzip.
Will man aufgrund von Bedenken eine tatsächliche Optimierung des Sicherheits-niveaus erzielen, wäre es auch in diesem Fall zielführender, die Brandschutzqualität der Treppenraumzugangstür höherwertig zu klassifizieren.
Diese Maßnahme bringt eine zusätzliche Sicherheit in zweifacher Hinsicht: Zum einen wird eine Übertragung von Feuer und Rauch aus der brennenden Nutzungseinheit in den notwendigen Treppenraum verhindert. Zum anderen stellt diese Maßnahme auch einen zusätzlichen Schutz für die Nutzer der nicht vom Brand betroffenen Einheiten dar. Personen können somit bis zum Abschluss der Brandbekämpfung in der gesicherten Nutzungseinheit verbleiben.
Daher gilt auch für diesen Fall, dass im Fall von Bedenken Maßnahmen zur Brandfrüherkennung oder die Optimierung der Feuerwiderstandsdauer der Treppenraumzugangstüren deutlich wirksamer sind, statt reflexartig die Anordnung von Außentreppenanlagen einzufordern.
c) Es brennt im Treppenraum
Die Brandentstehung innerhalb eines notwendigen Treppenraumes ist aufgrund seiner konstruktiven Ausführung und des weitgehenden Verbotes von Zündquellen und Brandlasten äußerst unwahrscheinlich. Trotzdem gehören Brände innerhalb eines notwendigen Treppenraumes zum regelmäßen Einsatzszenario deutscher Feuerwehren. Die Gründe hierfür sind höchst unterschiedlich und reichen von der Brandstiftung abgestellter Gegenstände (z.B. Kinderwägen) bis hin zu betrieblich-organisatorischen Mängeln durch die unzulässige Anordnung brennbarer Materialien oder technischer Einrichtungen (z.B. Computerarbeitsplätze als Empfangsbereich).
Brandereignisse innerhalb des Treppenraumes stellen sicherlich die größte potenzielle Gefahr dar, da in diesem Fall alle angebundenen Einheiten unmittelbar betroffen und gefährdet sind. Eine Flucht durch den verrauchten Treppenraum ist aus den bereits beschriebenen Gründen nicht anzuraten. Eine Brandfrüherkennung innerhalb des Treppenraumes bringt ebenfalls keine Gefahrenreduzierung, da die Alarmierung erst im Fall einer bereits erfolgten Verrauchung des Treppenraumes erfolgt und dies die Nutzer ggf. sogar erst veranlasst, über den verrauchten Treppenraum zu fliehen. Trotzdem greift auch in diesem Fall das Abschottungsprinzip.
Aufgrund der im Bauordnungsrecht verankerten Anforderungen an die Treppenrauminnentüren können die Personen zunächst innerhalb der Nutzungseinheiten verbleiben. Eine Eigenrettung über den Treppenraum wäre in den letztgenannten Fällen jedoch nach Entrauchung (z.B. durch Unterstützung von Druckbelüftern) und Freigabe durch die Feuerwehr wieder möglich.
Wesentliche Maßnahme zur Vermeidung einer Brandentstehung innerhalb des notwendigen Treppenraumes ist die konsequente Vermeidung von Brandlasten oder unzulässigen Zündquellen. Wird das Bauordnungsrecht hierbei konsequent umgesetzt, ist die Wahrscheinlichkeit einer Brandentstehung innerhalb des notwendigen Treppenraumes äußerst gering. [...]
Weiterlesen? Der vollständige Artikel ist in Ausgabe 3.2022 des FeuerTrutz Magazins (Juni 2022) erschienen. Darin werden die weiteren Argumente ausführlich betrachten, außerdem geben die Autoren ein Fazit.
Quellen
[1] "Außentreppen vs. Rettungsgeräte der Feuerwehr als zweiter Rettungsweg" DAB 07/2019 Abraham/RA Till Fischer, *)
[2] Mythen des Brandschutzes, Teil 1 „Brandschutzkonzepte müssen jedes Risiko ausschließen“, FeuerTrutz 02/2021*)
[3] Mythen des Brandschutzes, Teil 4, „Brandschutzdienststellen entscheiden über Belange des vorbeugenden Brandschutz“, Feuer Trutz 02/2022*)
[4] Anfragen an die ARGEBAU vom 21.02.2016 und vom 09.10.2016 **)
[5] Anfragen an die ARGEBAU vom 21.02.2016 und vom 09.10.2016 **)
[6] Antworten der ARGEBAU vom 06.06.2016 und vom 21.03.2017, **)
[7] Antworten der ARGEBAU vom 06.06.2016 und vom 21.03.2017, **)
[8] Grundsatzpapier der Fachkommission Bauaufsicht G Farmer, J Messerer, 2008
[9] Brandschutzanforderungen für bestehende Gebäude-Hinweise zur Rechtslage. Bekanntmachung des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft, ThürStAnz vom 1. April 2019 Nr. 17/2019 S 784-790 *)
*) siehe www.brandschutz-im-dialog.com/veroeffentlichungen/ **) siehe www.brandschutz-im-dialog.com/anfragen-an-die-bauministerkonferenz/